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Trapez

Trapez

Titel: Trapez
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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war selbst einmal ein Zirkusstar gewesen – wenn man sie so ansah, schien das unmöglich –, sie belegte alle, besonders Lucia, mit Beschlag und mu ss te über jeden Enkel und Cousin dritten Grades auf das laufende gebracht werden.
    Tommy, der neben Mario in eine Ecke gedrückt war, konnte fühlen, wie Angelos Augen über sie wachten, und er hatte beinahe Angst, sich zu bewegen.
    In Gottes Namen, glaubt er denn, dass wir in der Öffentlichkeit Händchen halten oder was? dass wir Lucia so in Verlegenheit bringen würden an einem Ort wie diesem?
     
    In der Nacht wachte er aus unruhigem Schlaf auf und hörte, wie Mario aufschrie. Sofort hatte Tommy den schmalen Gang zwischen ihren Betten überquert und war an seiner Seite. Mario saß kerzengerade im Bett und starrte geradeaus. Tommy redete mit ihm, aber er schien es nicht zu hören und schlug mit seinen Händen um sich, als ob er mit einer Handbewegung in letzter Minute einen Schlag ins Genick abwehren wollte.
    »Nein«, flüsterte er mit rauer , zitternder Stimme, »nein, ich kann nicht…«
    Tommy schüttelte ihn heftig; er blinzelte und wachte endlich auf. Tommy wu ss te, dass er ihn besser nicht nach dem Alptraum fragen sollte; diese Alpträume kannten sie jetzt beide gut genug. Aber er befürchtete, dass dies eine Sturmwarnung für einen akuten Depressionsanfall sein könnte, der Mario bevorstand, und das konnte er sich nicht leisten. Nicht jetzt.
    »Hol mir ‘ne Zigarette, Lucky«, sagte Mario und atmete schwer aus. Tommy kramte im Nachttisch nach einem Päckchen und warf es ihm zu. Er dachte kurz nach, setzte sich dann zu Mario auf die Bettkante, zündete sich selbst eine an Marios glühender Zigarettenspitze an und schob ihm einen Aschenbecher hin.
    »Nimm den Aschenbecher, verdammt. Durch Rauchen im Bett gehen die Leute drauf.«
    »So werden weder du noch ich draufgehen, und das weißt du so gut wie ich.« In dem blassen Lichtschein einer blauen Neonreklame gegenüber ihrem Fenster war Marios Gesicht nur eine verzerrte Grimasse. Er zog an der Zigarette, ein, zwei Minuten lang leuchtete die Spitze glühend auf und verlosch wieder. Dann sagte er in die Dunkelheit hinein: »Ich hab’ geträumt, ich war auf dem Trapez. Nicht das, was wir jetzt hatten – das alte zwölf Meter hohe, das wir bei Lambeth hatten. Ich hab’ einen Dreifachen versucht und jemand benutzte eine Zeitlupenkamera, und aus irgendeinem Grund habe ich mich in Zeitlupe bewegt. Als ob man mich mit einem Zeitlupenstrahl erfa ss t hätte oder so was.«
    Es war dunkel, aber Tommy konnte durch das Bettzeug spüren, wie er erschaud erte. »Und in der Nahaufnahme – die drei Drehungen haben ewig gedauert, Zeitlupe, wie schon gesagt – habe ich erkannt, dass nicht du am Fangtrapez warst, oder etwa Angelo. Es war Lucia, und ich wu ss te, dass ich nicht so einfach nach ihr greifen konnte…« Seine Stimme versiegte. »Verdammt, ich kann mir nicht vorstellen, warum mir das solche Angst gemacht hat. Aber es war so. Es war so.«
    Tommy beugte sich in der Dunkelheit über ihn und wu ss te nicht, was er sagen sollte. Als er ihn einen Moment lang umarmte, merkte er, dass Mario immer noch zitterte.
    Er sollte jetzt nicht in so einer Verfassung sein. War es der Familientrubel gestern Abend ? Weil Angelo aufgetaucht ist? Nach einer Weile ließ er aus der Umarmung eine andere Berührung werden, ein Streicheln, das in den gemeinsamen Jahren zu einer Einladung geworden war.
    Aber Mario seufzte nur, ein tiefer Seufzer, der aus seinem Innersten hervorzukommen schien.
    »Das hat fast immer alles gelöst, als wir Kinder waren, nicht?« Das raue Zittern war aus seiner Stimme gewichen. »Wir sollten jetzt wieder schlafen, wenn es geht.
    Das wird ein harter Tag.« Aber als Tommy zurück in sein Bett geklettert war, griff Mario in der Dunkelheit zu ihm hinüber, wie er es früher immer getan hatte, um ihm über den schmalen Raum zwischen ihren Betten hinweg die Hand zu geben. Er sagte in der Dunkelheit: »Ich habe nachgedacht. Über die – die Griechen. Und wie sie waren. Man durfte nur soundso weit gehen, oder es gefiel den Göttern nicht. Wenn man mehr tat als das, dann nannten sie es hybris und man wurde gestraft. Ich weiß nicht. Wie weit kann ich gehen? Die alten Götter bedeuten mir gar nichts.« Seine Hand lag warm in der von Tommy; irgendwie erinnerte es Tommy an die alten Zeiten im Santelli-Wohnwagen. So schliefen sie ein.
     
    Er wachte in der grauen Morgendämmerung auf und fand Marios Bett leer vor. Am
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