Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es bleibt natürlich unter uns

Es bleibt natürlich unter uns

Titel: Es bleibt natürlich unter uns
Autoren: Horst Biernath
Vom Netzwerk:
Der Schnelltriebwagen hätte ihn in knapp zwei Stunden an den Ort seines künftigen Wirkens gebracht, aber er wählte den Personenzug. Der eingesparte Zuschlag sicherte ihm das heutige Abendessen; und er hatte allen Grund, sehr sparsam zu sein. Denn nach dem Kauf der Fahrkarte blieben ihm achtundzwanzig Mark und ein paar Pfennige darüber im Portemonnaie, und er wollte den guten Eindruck, den er ja schließlich gemacht haben mußte, nicht gleich am ersten Tag durch eine Bitte um Vorschuß trüben. — Mit dem schäbigen, bestoßenen Koffer aus billigem Vulkanfiber in der Hand — sein Inhalt bestand aus einem schon recht abgetragenen
    Anzug und ein wenig Wäsche — bummelte er am Zug entlang, den feschen hellgrauen City-Hut mit dem aufgebogenen breiten Rand kühn auf das rechte Ohr und ein wenig nach hinten gedrückt, so daß die gewölbte Stirn fast bis zum Haaransatz frei blieb. Er hatte diese Art, den Hut zu tragen, bei einem Schauspieler des Würzburger Stadttheaters entdeckt und sie sich sofort zu eigen gemacht; fast noch mehr hatte es ihm imponiert, daß sein elegantes Vorbild es verschmähte, in die Ärmel des Mantels zu schlüpfen und dieses wärmende Kleidungsstück wie eine Pelerine oder wie ein Cape lose auf den Schultern trug. Es lag eine lässige, heitere Eleganz in diesem Aufzug, ein Glanz von Künstlertum und leichter Verruchtheit, die auf das Selbstbewußtsein ausstrahlte und ihm im letzten halben Jahr zu ein paar reizenden Eroberungen verholfen hatte.
    Er war dreißig Jahre alt, breitbrüstig, über den Durchschnitt groß und mit dem glatten dunklen Haar, den breiten weißen Zähnen und den strahlend blauen Augen, die dunkel wie nachtblauer Samt wurden, wenn er eine Frau anlächelte, genau das, was man einen flotten und hübschen Kerl nennt. Eine Narbe, die sich vom linken Mundwinkel zwei Finger breit zum Jochbein zog, kerbte einen ironischen Zug in sein Gesicht, eine Wesensart, die ihm übrigens völlig fremd war. Er besaß eine gewisse im Beruf erworbene Schnoddrigkeit, aber keine Ironie. Immerhin stand ihm die Narbe gut zu Gesicht, und er wußte das und kleidete sie je nach Gelegenheit und Laune in Geheimnisse, in ein blutrünstiges Kriegserlebnis, in ein Hamburger Hafenabenteuer, oder in einen Sturz mit dem Motorrad, wo er mit hundert Sachen auf der Kiste gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen war. Oder hätte er erzählen sollen, daß er als Bub beim Fangermanndlspielen gerade mit dem Mundwinkel in einem Stacheldrahtzaun hängengeblieben war?
    Die Wahrheit ging zumeist auf Plattfüßen und bedurfte hübsch verchromter Gelenkstützen. Niemand wußte das besser als er, denn drei Jahre journalistischer Ausbildung in München, zwei Jahre als Hilfsredakteur und eine zweijährige Tätigkeit als Lokalberichterstatter an einer fränkischen Zeitung lagen hinter ihm. Sieben magere Jahre für einen jungen Mann mit solch einem gesunden und gesegneten Appetit auf alles, was das Leben zu bieten hatte. Nicht, daß er je richtig Not gelitten hätte, aber satt geworden war er beileibe nicht! Und es waren ja auch nicht nur die Magenfüller, nach denen es ihn hungerte und dürstete. Sein Appetit war auf höhere Dinge gerichtet als auf die billigen Schoppen, den billigen Gasthausfraß und die anspruchslosen Mädchen, die er sich bisher hatte leisten können. Das sollte nun alles anders werden! Das kam nun ganz von selbst auf ihn zu, gewissermaßen automatisch im Gefolge der Position, die er sich erobert hatte. Unter sechsundvierzig Bewerbern um eine Stellung, die im Verbandsorgan ausgeschrieben worden war, hatte er das Rennen gewonnen. Sein Bild, seine Zeugnisse, seine Stilproben. Ein Sieg aus der Entfernung, sozusagen anonym, eine Zeitlang Nase an Nase mit drei Konkurrenten, bis er dann zur persönlichen Vorstellung aufgefordert worden war und den heißen Endlauf für sich entschieden hatte. Die Karten würde er sich in den nächsten Tagen in der Druckerei des Hauses stechen lassen, zum Vorzugspreis selbstverständlich...

    Lothar Lockner
    Redakteur

    Oder lieber Schriftleiter? Eigentlich klang es bedeutender und seriöser. Aber das konnte man sich ja noch in aller Ruhe überlegen.
    Wochenlang war er wie im Rausch durch die Straßen gelaufen, von einem Schwung ohnegleichen befeuert. Redakteur...! Chefredakteur, Chef vom Dienst, Lokalredakteur, alles in einer Person!
    — Mochte Aldenberg ein lausiges Nest sein, mochte der „Aldenberger Anzeiger“ mit seiner Auflage, die knapp an die 9000 herankam, ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher