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Traeum weiter, Mann

Traeum weiter, Mann

Titel: Traeum weiter, Mann
Autoren: Nebe
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Minuten vor Ort, eine Spitzenleistung. Weil sie so hervorragend ausgebildet worden waren und jede und jeder genau wusste, was zu tun war, bekamen sie den Brand schnell in den Griff. Es war leider nicht zu verhindern gewesen, dass Löschwasser ins Erdgeschoss lief und alles vernichtete, was dort stand, die Möbel und den Holzfußboden, Teppiche, die Stereo-Anlage, einfach alles, es ist schlimmer als der gesamte Brandschaden am Dach.
    Das kann Gerald den Helfern natürlich nicht vorwerfen. Wenn sie später gekommen wären, hätte er gar kein Haus mehr gehabt. Selbstverständlich hat er am nächsten Tag zwei Fässer Bier und einen größeren Betrag gespendet, das war das Mindeste. Nun hockt er schon drei Tage in dieser Pension und hofft, dass die Handwerker mit den Renovierungsarbeiten schnell vorankommen.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragt eine warme Altstimme neben ihm, sie scheint aus einer vollkommen anderen Welt zu kommen.
    Er dreht sich um.
    Die Kellnerin. Sie muss neu sein, in den letzten Tagen hat er sie noch nicht gesehen. Ihre Wangenknochen liegen hoch, und die hellen grünen Augen sind betont kühl – ganz im Gegensatz zu ihrer rauen Soulstimme. Sie hat sich die kräftigen blonden Haare hochgesteckt, aber einige Strähnen lassen sich mit den Klammern nicht bändigen und lugen keck hervor.
    »Einen koffeinfreien Chai Latte bitte!«
    Ein kleiner Scherz. Auch ohne in die Karte geschaut zu haben, weiß er natürlich, dass es in der Pension Möwenwind weder einen Chai Latte mit noch einen ohne Koffein gibt (wobei ein Milchkaffee oder eine Latte macchiato durchaus im Angebot ist). In dem Moment, in dem er es ausspricht, tut es ihm schon wieder leid. Wenn sie es falsch versteht, klingt es total schnöselig.
    »Nehmen Sie den italienischen oder den aus fairem Welthandel?«, fragt sie mit gelangweiltem Gesichtsausdruck zurück. Grandios!
    »Mit Schuss«, entscheidet Gerald, und bezieht sich damit wieder auf die landestypischen Gepflogenheiten der Region.
    »Sehr gerne.«
    Sie entschwindet mit betont Po wackelndem Gang, dass Gerald kurz auflachen muss: Sie ist sich so dermaßen sicher, dass er ihr nachschaut ...
    Der Kontrollfreak vom Fenster stiert neugierig herüber und versucht, der Kellnerin flirtende Blicke zuzuwerfen. Er sieht dabei aus wie ein Bettler. Der Mann kommt Gerald vor wie das Klischee eines armseligen Vertreters für etwas, das geringe Margen bringt, Putzeimer vielleicht oder Schrauben. So zögerlich, wie er in seinen Laptop tippt, laufen die Geschäfte nicht besonders, da gibt es nichts Wichtiges, was er bearbeiten müsste. Die Produkte, die er vertritt, können in der Regel kaum verbessert werden, höchstens in Farbe und Struktur. Was manche Firmen nicht davon abhält, es trotzdem »ganz anders als gewohnt« zu machen, um aufzufallen. In der Regel werden das Flops. Gerald grinst in sich hinein. Wahrscheinlich ist er ein Vertreter für sechseckige Putzeimer mit Schlangenhautmuster oder etwas in dieser Richtung. Arme Sau! »Einmal Chai Latte, koffeinfrei aus fairem Handel mit Schuss.«
    Da ist die Kellnerin wieder. Sie hat die Spangen herausgenommen und trägt ihr blondes Haar jetzt offen, es sieht ziemlich verwuselt aus – was ihr noch viel besser steht. Gerald schätzt sie auf Ende 20. Mit runden, eleganten Bewegungen stellt sie ein Kännchen Filterkaffee und einen Cognac im großen, angewärmten Glasschwenker auf seinen Tisch.
    Gerald versucht nicht zu lächeln: »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie das hier haben.«
    »Ich bitte Sie!«
    Immerhin ist die Humorfrage damit schon mal geklärt, was ihn hoffen lässt: Wenn er noch länger hier wohnt, werden sie täglich miteinander zu tun bekommen. Was hat so eine Klassefrau hier am Ende der Welt verloren? Plötzlich fühlt sich seine Zwangslage schon viel leichter an, er fühlt sich deutlich wacher als zuvor.
    Die Kellnerin verteilt Kerzen auf den Tischen und zündet sie an. Sie bewegt sich geschmeidig wie eine Tänzerin, obwohl sie gar nicht so gebaut ist, zum Glück! Sie besitzt relativ breite Hüften, ein gebärfähiges Becken, wie man so sagt, auf eine ganz archaische Art wirkt sie sehr weiblich.
    Dann ist sie wieder verschwunden. Gerald starrt in die Kerze vor ihm. Wenn er ehrlich ist, muss er zugeben, dass sich die Renovierungsarbeiten für ihn alleine kaum lohnen. Seit seiner Scheidung wohnt er alleine in dem Haus. Vielleicht sollte er den Kasten einfach verkaufen und sich ein Zweizimmer-Apartment oder ein Loft in der Stadt zulegen.
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