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Traeum weiter, Mann

Traeum weiter, Mann

Titel: Traeum weiter, Mann
Autoren: Nebe
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vorwurfsvoll den Kopf.
    Heiner dreht sich schnell weg und tut so, als ob er nichts bemerkt hat. Was bildet sich der Kerl ein? Er hat nichts Anrüchiges getan. Ja, das Mädchen gefällt ihm, na und? Was ist denn schon dabei, wenn man sich gerne eine schöne Frau anschaut?
    Und dieses kurze Lächeln – eigentlich hat sie doch mit ihm geflirtet? Warum auch nicht? Im Vergleich zu den anderen Gästen ist er für sie bestimmt einer der wenigen Lichtblicke.
    Aus den Augenwinkeln sieht er wieder zu dem Unrasierten, der drei Tische weiter sitzt. Gelangweilt schaut er auf den Bildschirm seines Powerbooks. Bestimmt nur irgendein Vertreter. Der hat es gerade nötig, sich über andere zu erheben, denkt Heiner.
    Mit einem zufriedenen Lächeln schaltet er sein Laptop ein, öffnet ein Textdokument und liest die erste Seite:
    Der seltsame Franzose
    von Heiner Deuters

    Stolz schaut er sich im Wintergarten um. Zu seiner leichten Enttäuschung scheint keiner ihn zu beachten, jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt.
    Aber dann schüttelt er gedankenverloren den Kopf. Umso besser, denkt Heiner, dann kann er endlich in Ruhe arbeiten. Er lächelt selig, wie unendlich lange hat er auf diesen Moment gewartet! Mit leisem Knacken lockert er seine Finger, reibt euphorisch die Hände aneinander, trinkt noch einen Schluck Rotwein und fängt dann an.

2
Chai Latte mit Schuss

    »Ich will nicht hier sein.«
    Gerald Schöning schaut sich erschrocken um: Er war so tief in Gedanken, dass er nicht sicher ist, ob er es gerade laut gesagt hat. Das wäre ihm peinlich. Aber die Gäste im Wintergarten sitzen zum Glück genauso öde da wie zuvor, keiner guckt zu ihm herüber; auch nicht die mittelalten Eltern mit ihren pubertierenden Jungs, die sich hier ohne andere Jugendliche so wohl fühlen wie in einem Straflager. Draußen ist es bereits dunkel geworden, vom nahen Meer sieht man nichts. Neben ihm langweilt sich das schweigsame, dickliche Pärchen, er mit silbernem Ohrring, sie behängt mit billigem Goldschmuck, den sie vermutlich spontan im Verkaufsfernsehen geordert hat, hinten lungern noch zwei Geschäftsleute mit teuren Schlipsen und preiswerten grauen Anzügen herum. Am schlimmsten ist der Typ um die 40, der sich erst prüfend umschaut, als er hereinkommt, und dann ans Fenster des Wintergartens hastet. Er wirft nicht einen Blick auf die Ostsee, die sich wie ein grandioser riesiger Teich vor dem Fenster ausbreitet, sondern setzt sich mit dem Rücken zum Meer. Vermutlich ein Kontrollfreak, der zwanghaft das gesamte Restaurant im Blick haben muss.
    Gerald streicht sich nachdenklich über seinen stoppeligen Dreitagebart, das sind natürlich alles nur Vermutungen, wahrscheinlich sind die Leute alle total sympathisch, und seine Vorurteile hängen mit seiner Laune zusammen, die ziemlich am Boden ist.
    Er klappt seinen Laptop auf und schaut auf seine Website. Hat sich schon jemand auf seine neuen Angebote gemeldet? Er ist Makler und hat gerade zwei neue Objekte hereinbekommen: ein hervorragend ausgestattetes Haus, das aber 20  Kilometer von der Ostsee entfernt liegt, und eine Schrottbude mit Meeresblick. Beides sind Notverkäufe und kommen viel zu spät, jetzt im Oktober geht es schon langsam auf Weihnachten zu. Im Herbst sind die Leute nicht in der Stimmung, sich ein Ferienhaus zuzulegen. Er muss unbedingt mit seiner Hausbank reden, denn er überlegt ernsthaft, die Schrottbude billig zu kaufen (die Maklerprovision fiele ja weg) und renovieren zu lassen. Es ist eine günstige Gelegenheit, seine Kunden brauchen das Geld dringend und sind bereit, mit dem Preis nach unten zu gehen. Aber Geralds Bank zickt bereits wegen der Zwischenfinanzierung für die Handwerksarbeiten in seinem Privathaus herum. Wenn er die Handwerker schon mal im Haus hat, will er sich natürlich verbessern, ein Wintergarten mit Jacuzzi-Pool und Fußbodenheizung im ganzen Haus sollte schon drin sein.
    Er ist nicht freiwillig hier, die Ostsee vor dem Wintergarten und der endlose Strand sind für ihn höchstens das kleinere Übel. Er wäre jetzt gerne zu Hause, was nur 30 Kilometer entfernt liegt.
    Aber sein Zuhause gibt es nicht mehr.
    Städter halten die freiwillige Feuerwehr gerne für einen skurrilen Trachtenverein, in dem sich debile Dörfler zum Saufen treffen. Dass Feuer eine ernste Gefahr darstellt und Berufswehren auf dem Land weit weg sind, vergessen sie dabei. Als vor drei Tagen der Dachstuhl seines Hauses brannte, waren die freiwilligen Helfer aus seinem Dorf in nur zwölf 
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