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Traeum weiter, Mann

Traeum weiter, Mann

Titel: Traeum weiter, Mann
Autoren: Nebe
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Wintergarten mit Meerblick

    Die dunklen Abendwolken ziehen sich bereits zusammen, und feiner Nieselregen weht über die Straße. Durch die leise quietschenden Scheibenwischer schaut Heiner auf abgeerntete Maisfelder, die von langen, fast laublosen Knicks begrenzt werden. Nachdem er einen kleinen Mischwald durchquert hat, kann er kurz den endlos-grauen Teppich der Ostsee sehen. Dann passiert er endlich das Ortsschild von O. In dem kleinen Badeort hängen überall Schilder mit der Aufschrift »Gästezimmer zu vermieten« in den Fenstern, die meisten der rot verklinkerten Pensionen haben den Betrieb schon ganz eingestellt und die Rollläden heruntergelassen.
    Im Vorbeifahren sieht er neben einem kleinen Fußweg Hinweise zu den Hauptattraktionen von O.: »Zur Steilküste«. Und natürlich: »Zum Strand«. Ansonsten kann Heiner in dem kleinen Dorf nur einen EDEKA-Markt, einen Briefkasten, zwei Bushaltestellen und eine kleine Boutique für Strandmode entdecken. Dazu ein paar einsame Senioren, die mit einem Regenschirm spazieren gehen. Ein Restaurant, das mehr nach einem Imbiss aussieht, und ein rotweiß gestreifter Funkmast der Bundesmarine, der sich im Norden befindet und 30  Meter hoch in den bewölkten Himmel ragt.
    Heiner hat die Ortsmitte fast erreicht, als auf seinem Navi eine kleine schwarz-weiße Flagge aufblinkt. Am Ende einer versandeten Sackgasse, die hinunter zum Meer führt, ist er endlich am Ziel seiner Reise: der Pension Möwenwind .
    Er hat das Haus vorher nur im Internet gesehen. Wie immer kann die Realität mit dem schönen Schein des Werbefotos nicht mithalten. Das kleine Hotel ist ein einstöckiger Quader, gebaut in den Dreißigerjahren. Der weiße Putz ist seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gestrichen worden und hat bereits etwas Patina angesetzt.
    Doch als Heiner auf den Parkplatz fährt, hat er das Gefühl, dass er im Paradies angekommen ist. Und tatsächlich bricht in diesem Moment die Sonne durch die Wolken, und ein paar Strahlen tauchen die kleine Pension in ein warmes, hoffnungsvolles Licht.
    Heiner steigt leise ächzend aus seinem Golf. Der Rücken macht ihm seit ein paar Monaten Probleme, vor allem nach längeren Autofahrten. Aber auch das kann seine gute Laune jetzt nicht trüben. Er streckt sich und atmet tief durch. Der frische, salzige Geruch der nahen Ostsee ist überwältigend. Lächelnd schließt er die Augen. Und sofort sind sie da, die Erinnerungen an Urlaube mit den Eltern, überfüllte Strände in Travemünde, an Sonnencreme, warmen Sand und Capri-Eis mit Orangengeschmack.
    Er seufzt glücklich. Dann holt er seine Taschen aus dem Auto, seinen Koffer und seine nagelneue Crumpler-Bag mit seinem Laptop und wirft einen kurzen Blick auf die anderen Wagen, die auf dem kleinen Hotelparkplatz stehen. Ein Fiat Uno mit Lübecker Kennzeichen, ein rostiger Passat-Kombi aus Dortmund und ein grüner Landrover mit Ostholsteiner Nummer.
    Wirklich ausgebucht ist das Hotel im Moment wohl nicht. Umso besser, denkt Heiner, so hat er seine Ruhe und kann ungestört arbeiten. Nur deshalb ist er schließlich hergekommen. Er kann es kaum erwarten, sich hinter seinen Laptop zu setzen und anzufangen. Gut gelaunt schnappt er sich sein Gepäck und geht über den sorgfältig geharkten Kiesweg in das Gebäude.
    Die Rezeption ist nicht besetzt. Heiner stellt seine Sachen ab und schaut sich um. Auf einem Tisch liegen neben einer Schale mit Sahnebonbons Prospekte über Attraktionen in der näheren und etwas weiteren Umgebung. Wieder die Steilküste. Das U-Boot in Laboe. Das Hansa-Land in Sierksdorf. Auf der Theke eine gläserne Sammelbüchse des Seenotrettungsdienstes, dahinter an der braun getäfelten Wand das gemalte Bild eines Windjammers im Sturm.
    »Ah, Sie müssen der Herr aus Hamburg sein«, meldet sich plötzlich eine freundliche Stimme und eine Frau kommt aus dem seitlichen Flur in die kleine Lobby hinein. Blonde, streng nach hinten gebundene Haare, freche Falten um die blau blitzenden Augen und auf der Stupsnase eine abgerundete Lesebrille.
    Sie gibt Heiner die Hand. »Guten Abend, mein Name ist Ingrid Schmidt.«
    Die Besitzerin des Hotels, bei ihr hat er das Zimmer per E-Mail reserviert.
    »Deuters«, erwidert er die Begrüßung. Frau Schmidt geht freundlich lächelnd hinter den Tresen. Heiner schätzt sie auf weit über fünfzig, vielleicht sogar schon sechzig. Trotzdem ist Frau Schmidt immer noch eine sehr attraktive Frau.
    »Haben Sie eine gute Fahrt gehabt?«
    »Ja, kein Problem.«
    »Tut mir
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