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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht
Autoren: Friedrich Ani
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der abschüssigen Gewölbegasse, lehnte er sich an die Hauswand und schloss die Augen. Er zitterte am ganzen Körper. Als er die Augen wieder öffnete, stand einJunge mit einer blauen Pudelmütze vor ihm und sagte: »Wieso weinst du, großer Mann?«
     
    Ann-Kristin hielt seine Hand und schien zu lächeln.
     
    Die zweite Besprechung im Büro des Polizeipräsidenten fand am 20. März statt. An diesem Tag zog der Frühling mit einem triumphalen Regenschauer in die Stadt ein. Das Gespräch begann um 9.30 Uhr und endete um 9.50 Uhr, wobei Polonius Fischer das Wesentliche bereits nach fünf Minuten gesagt hatte. Die restlichen fünfzehn Minuten absolvierten die beiden Männer in einer gezwungenen Form von Höflichkeit.
    »Gestern Nachmittag rief der Innenminister an«, hatte Dr. Veit Linhard zu Beginn gesagt. »In der vergangenen Woche hatte ich zwei ausführliche Gespräche mit ihm. Er unterstützt meinen Wunsch. Der Kollege Weningstedt muss, wie Sie schon vermutet haben werden, wegen seiner Herzmuskelerkrankung vorzeitig aus dem Dienst ausscheiden, und ich habe Sie als seinen Nachfolger vorgeschlagen.«
    Daraufhin hatte Fischer gesagt: »Ich werde mir eine Auszeit von einem Jahr nehmen und dann entscheiden, ob ich überhaupt in den Dienst zurückkehre.« Auf die folgenden ungläubigen Fragen antwortete Fischer in besonnenem Ton und verfiel am Ende in ein abruptes Schweigen, das den Präsidenten vollständig irritierte.
    Es gab nichts mehr zu sagen. Obwohl die Formalitäten wegen Fischers Auszeit weitgehend ungeklärt blieben – Fischer wollte im Moment nicht weiter darüber sprechen –, hatte Linhard begriffen, dass jeder Umstimmungsversuch zwecklos war.
    Der Regen störte Fischer nicht. Er ging durch ihn hindurch.
     
    Dennis Socka und Serkan Yilmaz bestritten den Mord an Claus Socka, die Überfälle auf die Taxifahrer und die Misshandlung von Ann-Kristin Seliger. Ihre Anwälte hatten ihnen geraten, von nun an zu schweigen, und das taten sie auch.
     
    »Hat Micha sich inzwischen bei Jockel Krumbholz entschuldigt?«, fragte Liz.
    »Nein«, sagte Fischer.
    »Nein.« Sie sah ihm zu, während er seinen Schreibtisch aufräumte. »Er muss sich nicht entschuldigen, er hat keinen Fehler gemacht, denk an das Gutachten.«
    Fischer dachte an das Gutachten und dachte an das Wort Hexenhammer.
    »Du kannst nicht einfach so ein Jahr aussteigen«, sagte Liz.
    »Ich steig nicht aus, ich bin nur nicht im Dienst.«
    Sie machte ihm Platz, als er drei Ordner zum Schrank trug. »Kommst du zurück?«
    Er stellte die Ordner ins Regal, und sie kippten um. Er ließ sie liegen. Dann nahm er Liz’ Hand und hielt sie fest. Sie standen nebeneinander. Liz kam sich vor wie verloren im Wald.
    Wir sind doch keine Versager, wollte sie sagen.

Epilog
    In einem weißen gestärkten Hemd und einer grünen Hose, mit gegelten Haaren, nach Rasierwasser duftend und mit einem munteren Gesichtsausdruck saß der dreißigjährige Jonathan Krumbholz im lichtdurchfluteten Besuchszimmer der Isar-Amper-Klinik im Münchner Vorort Haar. Vor ihm auf dem Tisch stand eine viereckige Pappschachtel, auf die er ab und zu mit dem Zeigefinger klopfte.
    Jonathan war ein kräftiger, einhundertzwölf Kilogramm schwerer Mann mit roten Wangen und nervösen Augen. Als er hereinkam, trug er die Schachtel wie eine Trophäe vor sich her und stellte sie mit äußerster Behutsamkeit auf den Tisch. Er gab Polonius Fischer die Hand, setzte sich, tippte mit dem Finger auf die Schachtel und schaute vor sich hin. Dann stand er noch einmal auf, ging zum Fenster, das gekippt war, und machte es zu. Mit schleppenden Schritten kehrte er zum Tisch zurück und nahm wieder Platz. Auf seiner Stirn glänzten Schweißtropfen.
    »Wollen Sie jetzt sprechen, Herr Krumbholz?«, sagte Fischer.
    »Ja, das will ich.«
    Im Büro des Leiters der Klinik wartete Luisa Krumbholz, um ihren Sohn mit nach Hause zu nehmen. Den Reportern, hatte sie erklärt, würde sie kein Interview geben, ebenso wenig wie ihr Mann und ihr Sohn, der nicht fotografiert werden durfte.
    »Kennen Sie den Monk, Herr Fischer?«, sagte Jockel.
    »Nein.«
    »Der ist komisch, den versteh ich. Der hat die Geschichte von dem Mädchen erzählt, das einer erstickt hat. Der war das aber nicht. Aber der hat das behauptet, weil er so traurig war, dass das Mädchen nicht mehr da ist und nicht mehr zu ihm kommt. Die haben sich nämlich gestritten gehabt. Das Mädchen hat gewollt, dass ihr Freund, so ein großer Mann, der älter gewesen ist als sie,
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