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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht
Autoren: Friedrich Ani
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Prolog
    Am 8. April vor sechs Jahren winkt die Schülerin Scarlett Peters auf der Berger-Kreuz-Straße im Münchner Stadtteil Ramersdorf einem Busfahrer.
    Sie trägt eine schwarze Windjacke und einen pinkfarbenen Schulranzen mit gelben Streifen. Es ist Montag, 12.50 Uhr. Die Sonne scheint. Von der Stelle, an der Scarlett innehält, um etwas zu tun, das sie noch nie vegessen hat – der Busfahrer sieht die Neunjährige fast täglich auf ihrem Heimweg von der Schule –, nämlich mit hoch erhobenem Arm und lachendem Gesichtsausdruck zu winken, bis zur Wohnung in der Lukasstraße sind es keine fünf Minuten.
    In dieser Zeit muss etwas geschehen sein, für das es keine Zeugen, keine stichhaltigen Beweise gibt.
    Natürlich meldeten sich bald Personen, deren Aussagen den Verlauf der Ermittlungen beeinflussten und die Urteilsbegründung mit prägten. Das gerichtsverwertbare Material, das zwei Sonderkommissionen innerhalb von eineinhalb Jahren zusammentrugen, basierte auf Belegen, die als Fakten und damit Beweise für etwas tatsächlich Geschehenes gewertet wurden.
    Drei Jahre, nachdem Kurt Hochfellner, Angestellter eines für die Stadt tätigen Busunternehmens, die Grundschülerin Scarlett Peters zum letzten Mal gesehen hatte, wurde ein vierundzwanzigjähriger, geistig zurückgebliebener Mann aus Ramersdorf wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte ein Geständnis abgelegt, das er kurz darauf zwar widerrief, das jedoch nach der Beurteilung eines psychiatrischenSachverständigen »tatsächlichen Handlungen« entsprochen habe.
    Seine Strafe verbüßt Jonathan Krumbholz, genannt Jockel, im Isar-Amper-Klinikum in Haar. Hier war er früher schon einmal vorübergehend untergebracht. Angeblich hatte er mehrere Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren sexuell belästigt, sich vor ihnen entblößt und zu masturbieren versucht. Allerdings hatten die Eltern auf eine Anzeige verzichtet, so dass die Behörden keine Möglichkeit sahen, Jockel dauerhaft in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Nach eigener Aussage habe er auch Scarlett bedrängt, und zwar vier Tage vor ihrem Verschwinden.
    Sie sei, sagte er zu Hauptkommissar Micha Schell von der Sonderkommission II, zu ihm gekommen, weil sie Playstation spielen wollte. Er habe dann die Tür seines Zimmers abgesperrt und sich an ihr vergangen. Weder gegenüber ihrer Mutter noch ihren Freundinnen erwähnte das Mädchen in den darauffolgenden Tagen den Vorfall. Als Michaela Peters von der Aussage des Angeklagten erfuhr, erklärte sie, ihre Tochter habe vor einigen Monaten Andeutungen gemacht, wonach Jockel sich »komisch und ekelhaft« benommen habe. Was genau Scarlett damit meinte, konnte ihre Mutter nicht sagen. Am Montag, 8. April – so Jonathan Krumbholz in seinem Geständnis –, lauerte er dem Mädchen auf. Sie drohte, ihn anzuzeigen. Daraufhin habe er sich entschuldigt und sie auf ein Stück Kuchen eingeladen, den seine Mutter frisch gebacken hatte. Scarlett sei »sofort« einverstanden gewesen, weil: »Luisas Schokokuchen ist der leckerste von der Welt.«
    Jockel wohnte mit seinen Eltern in der Auflegerstraße, unweit der Lukasstraße.
    Niemand hatte Jockel und Scarlett an diesem Tag zusammen gesehen.
    In Jockels Zimmer sowie in der gesamten Dreizimmerwohnung fanden die Spurensucher der Kripo keine Hinweise auf Scarletts Ermordung.
    Jockel behauptete, er habe mit Scarlett schlafen wollen und sie habe sich gewehrt. Da habe er ihr Mund und Nase zugehalten, so lange, bis sie reglos dalag »und ganz tot war«. Er sei aus dem Haus gelaufen, zum nahen Gasthaus seiner Eltern, und habe seinem Vater alles erzählt. Dieser sei mit ihm zurück in die Wohnung gegangen und habe die Leiche mit dem Auto weggebracht. Wohin, das wisse er nicht.
    In dem anthrazitfarbenen Opel Astra wurden weder Fingerabdrücke noch Haar- oder Faserreste, auch keinerlei Blutspuren gefunden.
    Von Anfang an bestritt Eberhard Krumbholz, Jockels Vater, die Version seines Sohnes.
    Krumbholz hätte nichts zu befürchten gehabt, Strafvereitelung zugunsten eines Angehörigen ist nicht strafbar.
    Inwieweit Luisa Krumbholz, die Mutter, in die vermeintlichen Vorgänge eingeweiht war, blieb ungeklärt, sie verweigerte die Aussage.
    Mehrere Zeugen wollen Jockel an jenem Montag in Ramersdorf gesehen haben, auch in der Gegend um die Aufleger- und Lukasstraße, jedoch nicht in Gegenwart der Schülerin.
    Nach den von den Ermittlern mehrmals korrigierten Zeitfenstern hielt sich Eberhard Krumbholz zwischen 13.30 und
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