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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht
Autoren: Friedrich Ani
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einem Gast zum anderen, ohne Neugier oder Staunen, sein Unterkiefer wanderte in einer trägen Bewegung von links nach rechts und wieder zurück, während der Rest seines Gesichts starr blieb.
    Nach einer Weile sagte Fischer: »Hast du eine Freundin?«
    Marcel öffnete den Mund, legte den Kopf schief, verharrte einige Sekunden und zuckte dann heftig mit den Schultern, als wolle er sich wieder in Schwung bringen. Aber er antwortete nicht.
    »Scarlett ist deine Freundin«, sagte Fischer.
    Marcel nickte.
    »Du warst allein, als du sie auf dem Marienplatz gesehen hast.«
    Sein Nicken ging weiter.
    »Du hast niemandem von eurer Begegnung erzählt.«
    Nicken.
    »Niemand außer meinen Kollegen im Polizeipräsidium weiß, dass du mir geschrieben hast …«
    Nicken.
    »Du bist ein Einzelgänger.«
    Marcel hörte auf zu nicken und richtete seinen traurigen Blick auf Fischer.
    »Ich kann deine Freundin nicht suchen.«
    »Warum denn nicht?«
    »Der Fall ist abgeschlossen.«
    »Scarlett lebt, und ein unschuldiger Mann sitzt in der Psychiatrie.«
    Scarlett lebt, dachte Fischer und dachte an seine Freundin. Er sah sie im Bett liegen und hörte plötzlich das Sirren der Geräte. Er war am anderen Ende der Stadt, und die Stimme in seiner Nähe kam von weit her.
    »Scarletts Mutter arbeitet immer noch in Großhadern. Und sie wohnt bei ihrem Freund in der Winterstraße.«
    Jemand hustete und wischte sich mit dem Ärmel seines Ledermantels den Mund ab. Fischer schaute den Jungen an, als sähe er ihn zum ersten Mal.
    »Sie brauchen nicht so tun, als würden Sie mir nicht glauben. Wenn Sie mir nicht glauben, warum sind Sie dann hier? Wenn Sie geglaubt hätten, ich lüg, dann hätten Sie mir keine Mail geschrieben, dann hätten Sie meinen Brief weggeschmissen, das ist doch logisch. Sie haben auf meinen Brief gewartet, das dürfen Sie ruhig zugeben.«
    »Ich habe nicht auf deinen Brief gewartet«, hörte Fischer sich sagen.
    »Sie haben nicht direkt gewartet, Sie haben nur gehofft, dass jemand Ihnen einen Brief schreibt, weil er Scarlett gesehen hat, und zwar lebendig, so wie ich.«
    »Scarletts Mutter wohnt in Untergiesing.« Dienstlich sein, dachte Fischer.
    »Ja.« Marcel legte die Hände auf den Tisch und nahm sie sofort wieder herunter, strich sich über die Oberschenkel. Sein Mantel knirschte. »Ich hab im Krankenhaus angerufen, weil ich sie fragen wollt, ob Scarlett sich bei ihr gemeldet hat. Ich wollt sie provozieren. Sie hatte keinen Dienst, da hab ich gesagt, ich hätt eine dringende Nachricht für sie, und sie haben mir die private Telefonnummer gegeben. Auf dem Anrufbeantworter hat der Typ seinen Namen genannt, ich hab die Auskunft angerufen und mir die Adresse geben lassen. Winterstraße2. Ich war dort. Hab sie aber nicht gesehen, beide nicht. Ist ein grünes Haus. Ich hab dann auf dem AB eine Nachricht hinterlassen, hab gesagt, ich hätt Scarlett in der Stadt gesehen und dass ich immer gewusst hätt, dass sie nicht ermordet worden ist. Ich hab Scarletts Mutter gefragt, warum sie auf dem Neuen Südfriedhof schon ein Grab für Scarlett gekauft hat, das hat sie nämlich getan. Und ich hab zu ihr gesagt, sie wollt, dass Scarlett tot ist, weil sie sie gestört hat, weil sie sie loswerden wollt, weil sie die Scarlett gehasst hat wegen ihres Andersseins und ihrer Freiheit im Kopf.«
    Erschreckt von seiner lauten Stimme, wischte Marcel sich mit dem Lederärmel über den Mund. Er blinzelte nervös, kniff die Lippen zusammen und nickte wieder eine Zeit lang vor sich hin.
    »Frau Peters hat nicht herausgefunden, wer angerufen hat«, sagte Fischer in dienstlichem Ton.
    Mitten im Nicken schüttelte Marcel den Kopf.
    »Das ist gut.«
    Wie auf ein Signal endeten alle Zuckungen des dürren Körpers.
    »So hatte sie genügend Zeit, darüber nachzudenken.«
    »Genau.« Marcel klopfte mit dem leeren Colaglas auf den Tisch.
    »Wann hast du sie angerufen?«
    »Am Faschingssonntag.«
    »Einen Tag nachdem du Scarlett auf dem Marienplatz gesehen haben willst.«
    »Ich hab sie gesehen.«
    »Von wo aus hast du angerufen?«
    »Von einer Telefonzelle.«
    »Du warst vorsichtig.«
    »Suchen Sie die Scarlett jetzt?«
    »Ich werde mit ihrer Mutter sprechen.« Einen Moment lang glaubte Fischer, er habe sich versprochen oder Marcel habe ihm den Satz in den Mund gelegt. Warum sollte er mit Scarletts Mutter sprechen?
    »Die lügt doch«, sagte Marcel.
    »Das macht nichts«, dachte Fischer und bemerkte nicht, dass er es ausgesprochen hatte.
    »Die hat ein Grab
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