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Totsein verjaehrt nicht

Titel: Totsein verjaehrt nicht
Autoren: Friedrich Ani
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er vor dem Mann stehen, lächerlich gemacht von seinen Vorgesetzten und der Öffentlichkeit.
    Mit kalten Fingern strich er sich die Haare nach hinten und dachte: Ich mache mich lächerlich. Aber was sonst sollte er machen? Warten? Das schaffte er nicht. Und ermitteln durfte er nicht, er war doch persönlich betroffen, wie es hieß.
    Er stand am offenen Fenster und roch die nasse Erde des Ostfriedhofs.
     
    »Sie trauen sich was.«
    Hanno Rost zog einen Anorak über sein rotes Jeanshemd, nahm seine Kaffeetasse vom Küchentisch und stellte sie zum schmutzigen Geschirr in die Spüle. Am Telefon hatte er erklärt, er sei zurzeit Strohwitwer, seine Freundin seit dem Wochenende bei ihrer kranken Mutter in Weimar. Sie komme erst heute zurück und werde vom Bahnhof aus direkt ins Krankenhaus fahren, wo sie arbeitete.
    »Sie sind ehrgeizig«, sagte Rost und sah auf seine klobige Armbanduhr. »Um acht muss ich los, ich hab um halb neun einen Termin am Harras.« Er nestelte am Gürtel seiner braunen Jeans, sein Handy trug er an der rechten Hüfte. »Ja, gut, versteh schon, Sie sind Polizist, Sie müssen Fragen stellen, liegt in der Natur Ihres Berufs. Ich stell auch einen Haufen Fragen, die haben halt meistens keinen Sinn, weil die Leut keine Ahnung von ihren Sachen haben. Wer ist der Zeuge, der das Mädchen gesehen hat?«
    »Bei Ihnen oder Ihrer Freundin hat sich Scarlett nicht gemeldet«, sagte Fischer.
    Rost zog eine Schachtel Zigaretten aus der Anoraktasche, hielt sie sich vor den Mund, schüttelte sie und schnapptenach einer Zigarette. Er steckte die Packung ein und holte ein Zippo hervor. »Die ist tot, Anrufe aus dem Jenseits kriegen wir nicht.« Nach dem Inhalieren kam kein Rauch mehr aus seiner Nase oder seinem Mund.
    »Ihre Freundin Michaela Peters wohnt bei Ihnen.«
    »Drei Zimmer, mehr gibts nicht.« Er stippte die Asche aufs schmutzige Geschirr. »Sie wollt weg aus Ramersdorf, die Leut haben sie den ganzen Tag angeglotzt, das macht dich fertig, ist verständlich. Und die würden heut noch glotzen, acht Jahre später.«
    »Sechs Jahre«, sagte Fischer.
    Mit der Zigarette zwischen den Fingern wischte Rost durch die Luft. »Die Micha leidet, das merkt man oft nicht, aber die leidet. Die leidet. Die hat ihr Kind verloren, das ist kaltgemacht worden von einem Behinderten, so was steckt keine Mutter weg. Ist doch so.« Er sog den Rauch ein.
    »Sie waren beim Prozess dabei.«
    »Die Micha war Nebenklägerin. Logisch war ich da, jeden Tag. Der Typ saß da und glotzte vor sich hin, wie eine Kuh.«
    »Sie meinen den Angeklagten.«
    »Ein Hirn wie ein Baby und brutal wie ein Killer.«
    »Er hat kein Hirn wie ein Baby, und er hat auch nicht wie ein Killer gemordet.«
    Wieder fegte Rost mit der Hand durch die Luft.
    »Sie waren erleichtert, als das Urteil verkündet wurde.«
    »Sie nicht?«
    Fischer antwortete nicht. Er stand nah bei der Tür, die Hände in den Manteltaschen. Als wäre er an einem Tatort und darauf bedacht, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen.
    Zum vierten Mal schaute Rost auf die Uhr. »Ich muss los, Unpünktlichkeit schlägt meinem Chef auf die Gesundheit.«
    »Sprechen Sie mit Michaela oft über Scarlett?«
    »Warum denn? Die ist tot, der Mörder sitzt, was noch?«
    »Sie haben keine Kinder, Herr Rost?«
    »Nein.«
    »Wollte Michaela mit Ihnen noch ein Kind?«
    »Nein. Außerdem ist sie zu alt. Schauen Sie hier drin nicht so genau hin, ich komm nicht zum Aufräumen.«
    »Wie alt ist Michaela?«
    »Vierzig. Glauben Sie, wir wollen so einen Behinderten wie den Killer kriegen? Bittschön.«
    »Jonathan ist nicht von Geburt an behindert«, sagte Fischer.
    »Jonathan. Hieß der nicht Jockel? Der Jockel mit seinem Gockel, den er vor kleinen Kindern rausgeholt hat. Jetzt Ende des Verhörs. Sie kreuzen hier in der Früh um sieben auf und erzählen mir wirres Zeug und unterstellen mir irgendwas. Ich hab Sie freiwillig in die Wohnung gelassen, und jetzt gehen Sie bittschön freiwillig.«
    »Ich unterstelle Ihnen nichts«, sagte Fischer und ging zur Tür. Bei jedem Schritt achtete er darauf, nicht zu schwanken. »Bei den Ermittlungen waren Sie damals nicht sehr kooperativ, Sie mochten Scarlett nicht, ihr Verschwinden kam Ihnen eher gelegen.«
    Sie standen im dritten Stock des Treppenhauses, in dem ein modriger Geruch hing.
    »Obacht.« Rost sperrte die Wohnungstür ab und zeigte mit dem Schlüsselbund auf Fischer. »Ich erklär Ihnen mal was, nur einmal, und wenn Sie’s dann nicht kapiert haben, geb ich Ihnen die
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