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Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt
Autoren: Sam E. Maas
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imponieren würde.
    „Auf Englisch“, wiederholte Johann sogleich.
    „In Houston hat jemand seine Freundin erwürgt und die Überreste auf dem Grill verbrannt, der mitten auf seinem Balkon stand. Es war ein kleiner Balkon, er hatte in so einem großen Mietshaus gewohnt.“
    „Oh nein, hat er sie gegessen? So etwas würde ich niemals machen. Die Freundin essen, meine ich“, sagte Johann schockiert.
    „Fertig, Johann? Ich habe nie etwas von Essen gesagt. Hör dir die Geschichte einfach bis zum Ende an“, ermahnte ihn sein großer Bruder.
    Die Geschichte war gut, merkte Lars, Johann hatte er schon mal an der Angel. Leider war das allzu leicht, denn für ihn waren die alltäglichsten Ereignisse kleine Wunder. Geschichten, bei denen er sich zu viel merken musste, konnte man ihm schon mal gar nicht erzählen. Wurde es kompliziert, machte er dicht. Dann sah er ihn mit seinen doofen Rinderaugen an.
    „Wo ist Houston?“, fragte Johann.
    „In den Vereinigten Staaten von Amerika … nicht in Deutschland, falls du das wissen wolltest“, sagte er.
    „Ja, nicht in Deutschland“, antwortete Johann.
    „Natürlich haben die Nachbarn den ekligen Gestank bemerkt, der kam ja geschlagene zwei Tage vom Grill zu ihnen 'rübergeweht —“
    „Er hat sie wirklich nicht gegessen? Das will ich dann nicht hören“, unterbrach ihn Johann wieder.
    „Nein, das hat er nicht! Weißt du was? Du redest mir zu viel dazwischen. Du musst endlich lernen, dass wenn jemand redet, du ihn auch zu Ende reden lassen musst“, ermahnte er ihn. „Und wieso willst du unbedingt wissen, ob er sie gegessen hat?“
    „Oooh, hehe, keine Ahnung“, entgegnete ihm sein Bruder und fragte dann doch: „Wie schmecken Menschen eigentlich?“
    „Pfui, Johann! Pfui!“, sagte Lars angewidert.
    Die beiden verstummten, sie mussten nun das Paket in den Karton legen. Manchmal war das richtig anstrengend, je nachdem, wie viel die Leute wogen. In ganz seltenen Fällen ging es überhaupt nicht, dann musste Johann vorher mit der Säge ran. Beim Hereintragen, wenn der Fahrer ihnen half, waren sie noch zu dritt und sogar zu viert, wenn einer seiner Söhne hinzugerufen wurde. Aber wenn das Paket einmal im Wartezimmer lag, dann waren sie auf sich alleine gestellt. Denn sie arbeiteten nachts, sicher war sicher, und da schliefen seine Kinder.
    Dieses Paket hier war klein und leicht, wies weibliche Rundungen auf, unter Garantie war es kein kleiner Mann. Lars glaubte zu wissen, wenn eine Frau vor ihm lag, dann wurde es irgendwie merkwürdig.
    Meistens bekam man die Leichen nicht zu Gesicht, weil sie schon für den Transport verpackt werden mussten. Doch manchmal hatten die Engel nicht genug Zeit dafür oder keine Lust. Dieses Paket war in weißer Folie verpackt, war sauber, nirgends kam Blut zum Vorschein. Man hatte die Folie mit Klebeband umwickelt, damit sie zusammenhielt, das war üblich so. Die Farbe der Folie und des Klebebandes änderten sich, es gab da keine Richtlinien, jedoch dominierten weiß und schwarz. Eigentlich nahmen die Engel, was sie gerade in die Finger bekamen. Sie hatten schon gelbe, blaue und rote Folien benutzt, was irgendwie unpassend schien. Und manchmal benutzten sie auch transparente Folien! Das war vielleicht eigenartig, mehr noch, es war gruselig! Dann sah man die Toten durch die Folie schimmern, wie unter einer Schicht aus Eis begraben. Unheimlich, als ob sie bloß tief und fest schliefen, um bald wieder aufzustehen.
    Der Körper landete nun im Karton. Lars und Johann nahmen den Deckel und stülpten ihn über. Wieder machten sie die Ecken mit Klebeband fest. Dieses Mal legte Johann den Abroller richtig ab. Stolz sah er Lars an: „Und du erzählst wirklich nicht weiter?“
    „Nein, Johann, heute nicht. Vielleicht ein andern Mal“, sagte Lars mit ruhiger Stimme.
    „Ich lass dich dann sicher auch ausreden“, sagte Johann.
    „Ich weiß, Johann, ich weiß … bist ein Guter“, tröstete er seinen Bruder. „Du hast dich doch um alles gekümmert, beim Ofen meine ich?“
    „Ja, alles gemacht“, bestätigte ihn Johann.
    Sein Bruder mochte nicht der Klügste sein — er war sogar der dümmste Mensch, dem Lars je begegnet war, aber man sperrte solche Leute ja gerne weg, weswegen es schwierig war, Vergleiche anzustellen — den Ofen konnte er jedenfalls bedienen. Wie er das machte war Lars ein Rätsel, vielleicht intuitiv? Wie auch immer, genauso gut wie ein Computer regelte Johann den Brennvorgang und darauf war er Stolz.
    Am Anfang hatte sich
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