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Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt
Autoren: Sam E. Maas
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mochten tanzen, aber die Anderen spielten die Musik dazu. Mit den Anderen hatte Vater die Engel gemeint.
    Die Engel hatten über Großvater den Weg in die Familie gefunden. Großvater war bei der SS gewesen und einer der Offiziere war ein Engel — Vater hatte diesen SS Offizier auch kennengelernt, nur dass er bei der Gelegenheit die Uniform der neuen Republik getragen hatte. Der Engel hatte Großvater nach dem Krieg Arbeit beschafft und später hatte er ihm seinen ersten Ofen finanziert. Seither war die Familie im Besitz des Ofens gewesen und seither hatte die Familie unter deren Schutz gestanden. Niemand stellte Fragen, niemand sah sich die Bücher an. Trotzdem galt, je weniger Aufmerksamkeit man erregte, desto besser. Daher wurde die Anlage regelmäßig modernisiert, zum Beispiel waren neue Filter eingebaut worden, um die Geruchsbildung zu reduzieren.
    Lars kannte den Geruch brennender Kadaver auch und zwar in seiner reinsten Form, während Großvater den mit Benzin und brennendem Holz vermengten Geruch kennengelernt hatte. Diese Anlage brannte nämlich mit Gas, da war nicht viel, was den Geruch verfälschen könnte. Das hieß, normalerweise, wenn alles nach Schema lief, roch man gar nichts.
    Um genau zu sein, hatte es lediglich ein einziges mal gestunken. Mitten im Brennvorgang war das Gas ausgeblieben, sodass ein halbverkohlter Kadaver im Ofen zurückgeblieben war. Es hatte ein paar Minuten gedauert, bis sie das Problem wieder in den Griff bekommen hatten, doch da war es bereits zu spät gewesen. Gott, hatte das in der Nachbarschaft vielleicht für Aufruhr gesorgt!
    Am Ende war wieder nichts passiert, keine Polizei, keine Feuerwehr, obwohl die Nachbarn sich beschwert hatten. Verschiedene Theorien waren daraufhin aufgestellt worden, das hatte Lars von den Kindern aus der Nachbarschaft gelernt. Die gängige Meinung lautete, ein Tierkadaver sei illegal entsorgt worden. Man wusste nur nicht welches Tier, besaß die Familie doch keine.
    Heute hatten sie es besser, denn direkte Nachbarn gab es keine mehr. Die kleine Fabrik war überraschend in die Stadt gezogen und weil sie der einzige Arbeitgeber in der Gegend gewesen war, hatte es nichts mehr zu tun gegeben. Ohne Arbeit gab es für die Leute keinen Grund zu bleiben. Langsam aber sicher war die kleine Siedlung ausgestorben. Zurückgeblieben waren nur ein paar sture Alte, die ihr ganzes Leben hier verbracht hatten und keinen Anlass sahen fortzuziehen. Die Alten von damals waren lange tot, die Häuser der Nachbarn nur noch Ruinen.
    Es war schon seltsam, dachte Lars, wie schnell die Häuser zerfielen, wenn sie mal unbewohnt waren, dabei waren sie aus Stein. Es fing mit den Fenstern an, waren diese zerbrochen ging es schnell bergab. Johann und er hatten sie mit Steinen eingeworfen, jedes einzelne. Sie hatten viel Spaß mit all den leeren Gebäuden gehabt, die Geistersiedlung war ein riesiger Spielplatz gewesen.
    Fast dreißig Jahre später konnte Lars den Gestank des verkohlten Leibes noch immer wachrufen. Diesen Geruch vergaß man nicht. Niemals.
    Lars sammelte amüsante und skurrile Geschichten, die mit seinem Beruf zu tun hatten und wurde dabei von seinem jüngsten Sprössling unterstützt, welcher sein Hobby mit ihm teilte. Der Jüngste, Thorsten, las keine Zeitung oder Bücher, dafür verbrachte er viel Zeit im Internet. Dieses Internet war schon eine tolle Sache.
    „Thorsten ist da über eine lustige Sache gestolpert“, teilte er seinem Bruder mit, der gerade das letzte Stück Klebeband am Karton befestigt hatte und nun den Abroller zur Seite legte — zu nah an der Tischkante, wie Lars fand.
    „Der Abroller, der fällt dir gleich wieder hin. Leg ihn doch bitte richtig ab … immer dasselbe mit dir.“
    Sein Bruder sah ihn mit großen, unwissenden Augen an, nahm den Abroller in die Hand und legte ihn in der Mitte des Tisches ab.
    „Gut so?“, fragte er.
    „Ja, wieso nicht gleich?“, fragte Lars, der sich nie ganz an die langsame Sprechweise seines Bruders gewöhnt hatte.
    „Kann mal passieren“, entgegnete ihm Johann und kicherte nervös.
    „Das passiert zu oft. Du bist zu sorglos“, berichtigte er ihn.
    „Ich weiß.“
    „Nein, das ist es ja. Jetzt weißt du es vielleicht, aber morgen schon nicht mehr. Was heißt morgen, in ein paar Minuten wirst du es schon nicht mehr wissen! Egal. Wo war ich? Ach ja. Also Thorsten hat da was gelesen“, sagte Lars und fügte dann ein „im Internet, auf Englisch“ hinzu, denn er wusste, dass das seinem Bruder
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