Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totgeburt

Totgeburt

Titel: Totgeburt
Autoren: Sam E. Maas
Vom Netzwerk:
Ofen angekommen, standen genau davor und sein Bruder sah ihn erwartungsvoll an, wartete auf dessen Kommando. Lars nickte und beide streiften sich die weißen Hygienemasken über. Dann ging Johann zu den Armaturen, stellte sie ein, öffnete die Ofentür per Knopfdruck und kehrte zurück, wartete wieder. Lars ging an seinen Platz, der vorne an der Bare war und von wo aus er sichergehen konnte, dass das Paket nirgends anstoßen und sich verhaken würde.
    „Jetzt“, sagte Lars und Johann schob.
    Das Paket verschwand in der Hitze der Brennkammer. Johann öffnete nun die Gaszufuhr. Sogleich umschlossen die Flammen den Karton und füllten die Kammer aus. Langsam, aber sicher schloss sich die Tür.
    „Kein Geruch, als ob nichts passiert“, kommentierte Lars.
    „Was?“, fragte sein kleiner Bruder.
    „Nichts, Johann. Hab nur laut gedacht.“
    An der Wand gegenüber des Ofens waren zwei Stühle und ein kleiner Tisch. Auf dem Tisch standen eine Thermoskanne gefüllt mit Kaffee und eine Flasche Saft, da lagen eine Zeitung, ein Sudoku-Buch und zwei Comics. Jeder setzte sich an seinen Platz, Lars links, Johann rechts. Er schenkte sich eine Tasse Kaffee aus, sein Bruder ein Glas Saft. Dann nahm er seine Zeitung und Johann seinen Comic — sein kleiner Bruder liebte diese Enten, das hatte er schon immer getan.
    Der Brennvorgang dauerte zwischen zwei und drei Stunden, hing ab von der Größe des Pakets. Zu fette Leiber wurden portioniert und in zwei Touren verbrannt, dann dauerte der Vorgang eben dementsprechend länger.
    Erst wurde der Körper von den Flammen getrocknet, er bestand ja zu etwa siebzig Prozent aus Wasser. Bei Fettleibigen musste man aufpassen, der Wasseranteil des Fettgewebes betrug nur rund 25 Prozent und Fett brannte heißer, konnte deswegen zu unkontrollierten Bränden führen. Unter der Hitze platzte schließlich die Haut auf, dann wurde das Skelett stückweise freigelegt, erst der Schädel, dann folgten die Glieder. Geschichten kursierten, dass das Gehirn erstaunlich robust sei und dass sogar dann, wenn der Schädel bereits zerfallen war, eine dunkle und klebrige Masse zurückblieb. Lars konnte das nicht bestätigen oder verneinen, er wusste nur, am Ende konnte nichts dem Feuer standhalten — mit der richtigen Temperatur zerfiel alles, ging alles in Rauch auf. Die harten Knochen kalzifizierten unter der enormen Hitze, wurden flockig und letztlich zerbröselten sie.
    Lars legte seine Zeitung zur Seite, denn er konnte sich nicht richtig konzentrieren und fing an zu erzählen: „Weißt du, Johann, in den USA, da passierte eine seltsame Sache … hm, ich glaube, das war 2003. Der Betreiber eines Krematoriums hatte so um die zwei oder dreihundert Leichen entgegengenommen … aber nie verbrannt. Stattdessen legte er sie überall auf dem Gelände ab … in der Garage, im Unterholz und Gott allein weiß, wo noch … er hatte ganze Stapel von Kadavern angelegt!“
    „Wieso hat er sie nicht eingeäschert?“, fragte Johann.
    „Der Ofen, er hatte aufgehört zu funktionieren“, antwortete Lars.
    „Keiner hat ihn repariert?“, fragte Johann.
    „Nein, seltsam, nicht wahr?“, meinte Lars.
    „Ja, seltsam.“
    „Statt den Familien die Asche ihrer Verstorbenen zu übergeben, da gab er ihnen Urnen gefüllt mit Asche aus Feuerholz und Zement“, erzählte er weiter.
    „Hohoho“, lachte Johann.
    „Aber weißt du, was das wirklich komische an der Sache ist?“, fragte er seinen kleinen Bruder.
    „Nein, was?“, fragte dieser.
    „Es gab kein Gesetz dagegen. Man konnte ihn nur wegen Betrug dran kriegen, weil er Geld für eine Dienstleistung angenommen hatte, die er nie erbrachte“, erklärte Lars.
    „Das … ist … nicht komisch“, sagte Johann vorsichtig.
    „Ich weiß, Johann“, meinte Lars und schlug die Zeitung wieder auf.
    Er wusste, dass die Geschichte seinem Bruder zu schaffen machte, denn der Betreiber des Krematoriums hatte gegen die Berufsehre verstoßen. Lars wartete auf Johanns Fragen oder Kommentare, aber es kam nichts weiter. Nach einer Weile des blöden Guckens nahm Johann seinen Comic zur Hand und verschwand wieder bei seinen Enten.
    Lars war eingenickt, erwachte erst, als Johann sich wieder rührte. Sein Bruder trug bereits die volle Ausrüstung und hielt das schwere Eisen in der Hand. Er sah so unwirklich aus in seinem silbernen Kittel aus feuerfestem Material, den dazugehörigen Handschuhen und dem Schweißhelm auf dem Kopf. Vor allem der Helm war merkwürdig, er war ebenfalls silbern,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher