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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen
Autoren: Donna Leon
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[7]  1
    Caterina Pellegrini zog die Tür hinter sich zu und lehnte
sich mit dem Rücken und dann mit dem Kopf dagegen. Ihre Beine zitterten,
während die Anspannung allmählich nachließ, und nach einigen tiefen Atemzügen
löste sich auch der Krampf in ihrer Brust. Am liebsten hätte sie vor lauter Freude
sich selbst und die ganze Welt umarmt, doch sie bezwang, wie so oft in ihrem
Leben, diesen heftigen Impuls, blieb mit hängenden Armen an die Tür gelehnt
stehen und versuchte sich zu beruhigen.
    Sie hatte unendliche Geduld gebraucht, aber es war geschafft. Sie
hatte zwei Idioten ertragen, ihnen trotz ihrer Gier ins Gesicht gelächelt,
Hochachtung geheuchelt und sie dazu gebracht, ihr den begehrten Job zu geben.
Die beiden waren beschränkt, aber mächtig; sie waren unsympathisch, aber die
Entscheidung lag bei ihnen; sie konnten Caterinas Fähigkeiten nicht einschätzen
und hatten kein Verständnis für ihr Fachgebiet, doch der Auftraggeber waren nun
einmal sie.
    Und sie hatten ihn ihr gegeben, den begehrten Auftrag, und keinem
der anderen Bewerber, in denen sie »Widersacher« gesehen hatte, so sehr hatten
die letzten zehn Jahre ihres Berufslebens schon ihre Sprache infiziert. Als
jüngste von fünf Schwestern hatte Caterina sich von klein auf durchzusetzen
gelernt. Mit den Schwestern verhielt es sich wie in einem Stück von Goldoni: Da
war Claudia, die Schöne; Clara, die Glückliche; Cristina, die Fromme; Cinzia,
die [8]  Sportliche; und als Letztgeborene Caterina, die Kluge. Claudia und Clara
hatten gleich nach der Schule geheiratet, Claudia nach einem Jahr die Scheidung
eingereicht und sich hochgetauscht, ein Anwalt, mit dem sie nicht groß
harmonierte, während Clara mit ihrem ersten Mann zufrieden war und bei ihm
blieb; Cristina hatte der Welt entsagt, war ins Kloster gegangen und hatte dann
Theologie und Kirchengeschichte studiert; Cinzia hatte einige Medaillen bei
Landesmeisterschaften im Tauchen gewonnen, dann geheiratet, zwei Kinder
bekommen und Fett angesetzt.
     Caterina, die Kluge, hatte
das liceo besucht, wo der Vater Geschichte lehrte und
sie die Latein- und Griechischprüfungen alljährlich mit Auszeichnung bestand,
während sie nebenher von ihrer Tante Russisch lernte. Danach hatte sie
vergeblich ein Jahr lang Gesangsunterricht am Konservatorium genommen und
anschließend zwei Jahre in Padua Jura studiert, was sie erst enttäuschend und
dann nur noch langweilig fand. Die schönen Künste lockten noch immer, und so
entschloss sie sich zum Studium der Musikwissenschaft, zunächst in Florenz und
dann in Wien, und als ihr Doktorvater von ihren hervorragenden
Russischkenntnissen erfuhr, besorgte er ihr ein zweijähriges Stipendium, um mit
ihr Paisiellos russische Opern in Sankt Petersburg zu erforschen. Nach Wien
zurückgekehrt, promovierte Caterina über die Barockoper. Der Doktorhut erfüllte
ihre Familie mit Freude und Stolz und verhalf ihr nach nur einjähriger Suche zu
einer Art innerem Exil im Süden, genauer gesagt zu einer Stelle als Dozentin
für Kontrapunkt am Konservatorium Egidio Romualdo Duni in Matera. Egidio
Romualdo Duni. Welcher Spezialist der Barockoper kannte [9]  den Namen nicht? Für
Caterina war er immer der »Duni, der auch komponierte«, der Mann, der seinen
Opern dieselben Titel gegeben hatte wie jene von berühmteren oder begnadeteren
Kollegen: Bajazet, Catone in Utica, Adriano in Siria. Duni. Er bedeutete ihr ebenso wenig wie den Intendanten an den Opernhäusern.
    Die Doktorwürde der Wiener Universität, dann die Dozentenstelle am
Konservatorium, wo sie Erstsemester in Kontrapunktik unterrichtete. Duni.
Wochenlang hatte sie das Gefühl, sie könnte ebenso gut Mathematik unterrichten – so weit war ihr Thema vom Zauber der Gesangsstimme entfernt. Dieses
Unwohlsein verhieß nichts Gutes, wie ihr schon bald nach ihrer Ankunft klar wurde.
Doch erst nach zwei Jahren fasste sie den Entschluss, wieder aus Italien
wegzugehen, diesmal nach Manchester, einem der führenden Forschungszentren für
Barockmusik, wo sie vier Jahre lang forschte und als Lehrbeauftragte arbeitete.
    Die Stadt selbst fand Caterina abstoßend hässlich, doch an der Uni
fühlte sie sich durchaus wohl; sie beschäftigte sich mit den Werken – und in
geringerem Maße auch mit dem Leben – einer Handvoll italienischer Musiker aus
dem achtzehnten Jahrhundert, die in Deutschland Karriere gemacht hatten. Mit
Veracini, Händels großem Rivalen; Porpora, dem Lehrer Farinellis; dem praktisch
vergessenen Sartorio
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