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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom
Autoren: Martin Clauß
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abrutschen. Zehn Uhr. Morgens oder abends? Nicht einmal den Wechsel der Tageszeiten bekam er mit.
    In den Gläsern vor ihm spiegelten sich seine Züge, finster und unansehnlich, hinter einem Dickicht von Kopf- und Barthaaren verborgen, ein breites, kurzes Gesicht, das nichts von der Intelligenz offenbarte, die in seinem Schädel steckte. Man hätte ihn für einen Landstreicher halten könnten, der glasige Blick in seinen ermüdeten Augen unterstrich diesen Eindruck.
    Es klopfte an der Tür.
    „Werner?“, krächzte er. Außer dem Rektor besuchte ihn hier unten niemand. Er versuchte sich aus dem Stuhl zu wuchten, versagte und fiel wieder zurück. Beim zweiten Mal klappte es besser. Der Doktor schlurfte zur Tür und schob den Riegel zur Seite, der sie von innen verschloss. Werner Hotten war nicht einverstanden, wenn er sich einschloss, denn falls ihm hier etwas zustieß, war so leicht kein Durchkommen durch die schwere alte Holztür. Doch darüber machte sich der Doktor keine Gedanken. Er mochte Türen, die sich absperren ließen.
    Kaum hatte er den Riegel entfernt, flog ihm die Tür entgegen! Die Wucht schleuderte ihn zurück, gegen den Tisch, und es klirrte. Ein Ständer mit Reagenzgläsern fiel um, Flüssigkeiten schwappten über. Ächzend rutschte Dr. Konzelmann zu Boden und streckte sich. Er hatte sich den Rücken angestoßen.
    Natürlich war das nicht Werner, der da vor seiner Tür gewartet hatte. Der Doktor wischte sich die langen Haare zur Seite und starrte auf die Gestalt.
    „Was … was wollen Sie … ich meine …“
    Er kam nicht weit mit seinen Fragen. Er wurde an den Schultern hochgehoben und geschüttelt, dann gegen die Wand gedrückt. Eine Faust traf ihn im Gesicht, mehrmals. Sein Kopf wurde hin und her geschleudert, er stöhnte, keuchte. Der Geschmack von Blut breitete sich auf seiner Zunge aus, die Lippen platzten auf. Er konnte sich kaum abfangen, als die Hände des Gegenübers ihn plötzlich fallen ließen. Verkrümmt lag er auf dem kalten, steinernen Fußboden, auf dem sich einige Flüssigkeiten und Pulver miteinander vermischten. Irgendwo qualmte es. Es war ein kleines Wunder, dass es zu keinem Brand kam.
    Der Gewalttäter verpasste dem Doktor noch ein paar Tritte in die Rippen, dann ließ er von ihm ab.
    Konzelmann bekam noch mit, wie die Tür wieder geschlossen wurde. Tief in ihm war das Verlangen, den Riegel wieder vorzuschieben, um auch mit seinem Schmerz vollkommen allein zu sein. Doch das gelang ihm nicht. Erschöpfung und Pein verbanden sich in ihm zu einer unüberwindlichen Macht und löschten sein Bewusstsein aus.

8
    „Ich dachte mir schon, dass ich dich in der Bibliothek antreffe.“
    Sanjay schien so in ihre Lektüre versunken zu sein, dass sie ihn nicht hörte. Artur berührte sie leicht an der Schulter. Nun sah sie zu ihm auf.
    „Der erste Abend seit einiger Zeit, den du auf dem Schloss verbringst“, stellte er fest. „Darf ich mich setzen?“
    „Klar.“ Sie klang nicht sehr begeistert. Offenbar ließ sie sich nicht gerne stören.
    „Was liest du?“, erkundigte sich Artur, um dem Schweigen erst gar keine Chance zu geben. Sie waren im Moment die einzigen, die sich in der Bibliothek aufhielten. Auch der Vorraum mit dem Computer war leer. Das musste er ausnützen.
    Stumm klappte Sanjay das Buch zu, damit er den Titel erkennen konnte. Allerdings behielt sie einen Finger als Lesezeichen zwischen den Seiten.
    „Die Magie der Namen“, las Artur laut. „Kannst du mir das erklären? Hat es etwas mit dem zu tun, was letzte Nacht passiert ist?“
    „Du bist nicht gerade sehr zurückhaltend“, meinte die Halbinderin leise. „So kenne ich dich gar nicht. Du warst immer einer von den Stillen.“
    „Ich will dir helfen, Sanjay. Und ich glaube, ich kann dir auch helfen.“
    „Ja?“ Ihre Miene sagte überdeutlich, dass sie ihm das nicht ohne weiteres abnahm.
    „Was ist mit den Namen?“, wollte Artur wissen. „Warum dieses Buch? Ich würde es verstehen, wenn du etwas über Gifte lesen würdest oder …“
    „… über liebeskranke Chemiker?“ Sanjays schwarze Augen glühten förmlich. „Es ist etwas anderes. Es kommt aus meinem Inneren. Dr. Konzelmann hat nichts damit zu tun.“
    „Ich habe so etwas vermutet“, meinte Artur. „Du weißt, dass ich einen Schutzgeist habe … hatte.“ Seine Hand kroch in seine Hosentasche und spielte mit dem Bernstein. „Madoka hatte ebenfalls einen. Und ich könnte mir vorstellen, dass es bei dir ähnlich ist.“
    „Kein Schutzgeist“,
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