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Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Totenruhe - Bleikammer - Phantom

Titel: Totenruhe - Bleikammer - Phantom
Autoren: Martin Clauß
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erwiderte sie bestimmt. „Paul wollte mir nichts Böses.“
    „Das kannst du nicht wissen. Wir können Menschen nicht von Anfang an durchschauen. Diese Geister sind dazu fähig. Vielleicht waren Pauls Gefühle zu dir nicht aufrichtig, und …“
    „Wenn du gekommen bist, um den Mann zu beleidigen, den ich liebe, dann kannst du dich gleich wieder verkrümeln!“ Sie atmete schneller, wurde aggressiver.
    „Nein“, entgegnete Artur leise. „Es tut mir leid. Ich wollte dir nur helfen. Weißt du, ich habe diese Erfahrung ebenfalls gemacht. Es ist nicht immer einfach einzusehen, warum da etwas in dir ist, das Menschen attackiert, die du eigentlich ganz nett findest. Manchmal hat es etwas gedauert, bis ich herausgefunden habe, warum diese Leute gefährlich für mich sind. Bei manchen habe ich es nie erfahren. Aber ich habe irgendwann gelernt, es zu akzeptieren.“
    Für einen Moment schloss Sanjay die Augen, und als sie sie wieder aufschlug, lag etwas sehr Tiefes und Weises in ihnen. „Artur, ich muss dir etwas erzählen. Eigentlich ist es mein Geheimnis, und ich habe meinem Vater als Kind versprechen müssen, es niemandem zu verraten. Aber ich möchte, dass du verstehst, dass es in meinem Fall etwas anderes ist. Paul liebt mich. Kein Schutzengel hat ihn von mir ferngehalten, als wir uns kennenlernten. Es geschah erst dann etwas, als wir … als wir … uns liebten.“
    Arturs Augen weiteten sich.
    „Es hat nichts mit Schutz zu tun“, fuhr die Studentin fort. „Eher mit Eifersucht. Oder mit Nicht-Verstehen. Da ist etwas in mir, und das wollte nicht, dass ich zur Frau werde.“
    „Du hast … Du bist …“, stammelte Artur.
    „Ich habe letzte Nacht meine Jungfräulichkeit verloren“, sagte Sanjay, während sie den Blick abwandte. Artur konnte verstehen, wie peinlich es ihr war, darüber zu reden, und auch er schämte sich jetzt dafür, dass er sie so weit gebracht hatte, bis sie nicht mehr anders konnte. Andererseits kamen sie gerade der Lösung des Rätsels immer näher, und diesen Prozess konnte er nicht einfach aus Rücksichtnahme abbrechen.
    „Du bist – wie alt – vierundzwanzig? Und vielleicht die schönste Frau, die ich je gesehen habe! Und du hast noch nie …?“
    Sanjay stieß das Buch von sich und stand auf. Ging im Raum umher. „Bisher hatte ich den Richtigen noch nicht gefunden. Und ich habe keine Ahnung, warum ich überhaupt mit dir über so etwas sprechen muss!“
    „Was ist mit der Magie der Namen?“, wechselte Artur das Thema.
    „Mein Name … Sanjay“, begann sie, „ist kein Frauenname.“
    „Nicht?“, fragte Artur verwundert.
    „Nein. Es ist ein Männername, und dass mein Vater in mir gegeben hat, hat einen ganz bestimmten Grund.“
    „Er wollte kein Mädchen, sondern einen Jungen.“ Er sagte es so dahin, sogar noch mit einer Prise Humor in der Stimme, doch im nächsten Moment bereute er es schon. Ihm fiel ein, dass in Indien weibliche Babys manchmal getötet wurden – zumindest hatte er davon schon einmal gehört. Das Thema war ernst.
    „Ich hatte einen älteren Bruder“, erklärte die Studentin. Sie war vor einem der Regale stehen geblieben, hatte den Kopf gesenkt und blieb von ihm abgewandt. „Er hieß Sanjay. Er … starb bei seiner Geburt. Mein Vater kam nie darüber hinweg, und als zwei Jahre später ich auf die Welt kam, setzte er durch, dass ich den Namen meines Bruders bekam. Was jetzt geschieht, muss damit zusammenhängen. Jemand gefällt es nicht, dass Paul mich zur Frau gemacht hat. Vielleicht ist es der Geist meines Bruders, der das tut. Oder die Essenz seines Namens. Es ist, als … würde mir der Name Sanjay nicht mehr passen, jetzt, wo ich eine Frau bin.“
    Artur hatte stumm zugehört, und als sie fertig war, sagte er: „Dann müssen wir diesen Geist in seine Schranken weisen, ehe er dich zerstört.“ Er erhob sich und ging langsam auf die junge Frau zu. Sie sah ihn nicht kommen, war mit ihren Gefühlen beschäftigt und zuckte zusammen, als Arturs Hände ihre Schultern berührten. Sanft entwand sie sich seinem Griff, doch er fasste noch einmal nach.
    „Bitte“, flüsterte sie. „Ich möchte nicht … Ich mag es nicht, wenn du mich anfasst.“
    „Es tut mir leid“, wisperte Artur ganz nahe an ihrem Ohr. „Du darfst mich nicht missverstehen. Ich möchte das nicht tun. Aber es ist die einzige Möglichkeit, dieses Wesen aus dir herauszulocken.“ Seine Hände strichen über ihre Schultern hinab, an ihren schlanken Armen entlang. Sie trug wieder eines
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