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0603 - Nächte des Schreckens

0603 - Nächte des Schreckens

Titel: 0603 - Nächte des Schreckens
Autoren: Andreas Kasprzak
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Eigentlich war das Gebäude ein Prachtbau - zumindest war es das gewesen, ehe der Verfall sich gierig über die Villa hergemacht hatte. Das Haus war um die Jahrhundertwende herum errichtet worden und in Viktorianischem Stil erbaut. Es besaß vermutlich mehr Zimmer als so manches Hotel in dieser Gegend.
    Überall Nischen und Vorsprünge, die dem Bau trotz des fortschreitenden Niedergangs ein fast romantisches Flair verliehen. Eine breite Treppe führte zur Veranda hinauf. Dort stand, vergessen und verrostet, eine alte Hollywood-Schaukel.
    Mike Myers umfaßte den Riemen seines Rucksacks fester, in dem sich sein gesamter Besitz befand. Er marschierte weiter auf das Haus zu. Es lag ein wenig abseits der Straße, die eine Meile weiter durch den Ort Hidden Place führte. Gleich hinter dem Haus begann der Sleeping Giant National Forest.
    Nachdem sich Mike kurz umgesehen hatte, öffnete er die schief in den Angeln hängende Pforte und betrat den Garten, der so verwildert war, daß man ihn von der umliegenden Waldvegetation kaum unterscheiden konnte. Die Bäume, Büsche und Sträucher hatten sich praktisch ungehindert ausgebreitet.
    Unkraut aller Art wuchs hüfthoch zu beiden Seiten des bröckeligen Plattenweges, der zur Veranda führte. Wenn man den Garten wieder in Ordnung hätte bringen wollen, würde man nicht Harke und Schaufel, sondern einen Pflug benötigen.
    Mike konnte nicht begreifen, warum man ein so stattliches Haus dermaßen verkommen ließ, trotzdem war er froh darüber, die alte Villa entdeckt zu haben. Obgleich der Sommer vor der Haustür lag, war es nachts noch immer empfindlich kalt, und die leichten Erfrierungen, die sich Mike im Laufe der dreizehn Jahre seiner Obdachlosigkeit und seines Herumwanderns zugezogen hatte, reichten ihm völlig.
    Im übrigen war es natürlich wesentlich angenehmer, sein Lager in einem leerstehenden Haus aufzuschlagen, wo man ein Dach über dem Kopf hatte, als irgendwo im Wald die Nacht zu verbringen, denn dort war man Wind und Wetter mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert.
    Während Mike den Plattenweg entlangmarschierte, dachte er an die Zeit, als er noch als ›zivilisiert‹ und ›anständig‹ galt. Da hatte er ebenfalls ein schönes Haus besessen. In Bangor, Maine. Nicht so groß wie diese Villa zwar, und auch beileibe nicht derart eindrucksvoll. Bloß ein Vorstadtbungalow mit fünf Zimmern, einer Doppelgarage und einem Garten nach hinten raus. Und dessen Rasenfläche hatte man innerhalb von zehn Minuten vollständig gemäht. Aber für Cathy und ihn hatte es gereicht.
    Als er an seine Frau dachte, seufzte Mike. Fragte sich, wo sie in eben diesem Moment war und was sie wohl tat. Vermutlich lag sie neben seinem ehemals besten Freund Hank Wildberg im Bett und schlief friedlich. Und wahrscheinlich bemühte sie sich ansonsten, nicht daran zu denken, daß sie vor einer Ewigkeit einmal Mrs. Myers gewesen war.
    Als sie noch Kontakt zueinander hatten, da hatte sie mehr als einmal gesagt, sie wünsche sich nichts sehnlicher auf der Welt, als ihn aus ihrem Gedächtnis streichen zu können. Möglicherweise war ihr das in den letzten zehn Jahren gelungen.
    Aber Mike hatte sie nie vergessen können. Niemals. Trotz allem, was sie ihm angetan hatte. Trotz der Tatsache, daß sie die Verantwortung für das Elend trug, in dem er bis zum Hals steckte. Sie und Wildberg, dieser Mistkerl.
    Sie hatten ihn ruiniert, ohne daß er es gemerkt hatte. Er war wie ein Blinder in die Falle getappt, die sie in aller Ruhe und Verschwiegenheit für ihn aufgestellt hatten.
    Mike hatte die kleine Autowerkstatt aus dem Nichts aufgebaut, all sein Geld und seine Arbeitskraft darin investiert. Er hatte erst erfahren, daß sie bis zum Exzeß verschuldet war, als der Gerichtsvollzieher mit dem amtlichen Pfändungsbeschluß vor der Tür stand.
    Hank Wildberg hatte sich in der Firma um die Buchhaltung gekümmert. Und er hatte klammheimlich sämtliche Konten leergeräumt. Als der Gerichtsvollzieher kam, war er mit Cathy bereits über alle Berge.
    Mike Myers hatte von einem Tag auf den anderen nicht nur ohne seine Firma, sondern auch ohne seine Frau dagestanden. Alles, was ihm blieb, nachdem man das Haus und den Betrieb zwangsversteigert hatte, waren die Kleider gewesen, die er am Leib trug.
    Ohne Vorwarnung tat sich der Abgrund vor ihm auf. Und seitdem drohte er jeden Tag, hinab in die Tiefe zu stürzen.
    Gedankenverloren stieg er die Treppe zur Veranda hinauf. Die durchgetretenen hölzernen Stufen bogen sich unter
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