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Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich
Autoren: Tana French
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informierte Rotschopf mich netterweise.
    »Das wäre mir neu«, sagte ich, während ich versuchte, mich aus der kugelsicheren Weste zu befreien, ohne das Handy zu verlieren. Mein erster Impuls war – noch immer –, ihm zu sagen, er solle doch einfach ein bisschen kreativ an sich rumspielen, aber weder der psychische Zustand meines Expartners noch sein Liebesleben waren mein Problem, nicht mehr.
    Als Sam wieder ans Telefon kam, klang er noch angespannter und erschütterter. »Kannst du eine Sonnenbrille aufsetzen und eine Kapuze oder Mütze oder so?«
    Ich verharrte mit der Weste halb über dem Kopf. »Hast du sie noch alle?«
    »Bitte, Cassie«, sagte Sam, und er klang fast bis zum Zerreißen angespannt. »Bitte.«

    Ich fahre eine alte, klapprige Vespa, was in einer Stadt, wo du bist, was du ausgibst, ganz schön uncool ist, aber auch seine Vorzüge hat. Im Stadtverkehr komme ich damit viermal schneller voran als der durchschnittliche Geländewagen, ich finde immer einen Parkplatz, und sie ist auch in sozialer Hinsicht praktisch, da ich auf Anhieb weiß, dass jeder, der sie mit einem schnöseligen Blick bedenkt, wahrscheinlich nicht mein neuer bester Freund werden wird. Sobald ich die Stadt hinter mir gelassen hatte, war es ideales Motorrollerwetter. Es hatte die ganze Nacht geregnet, stürmischer Graupelregen, der gegen mein Fenster geklatscht war, aber im Morgengrauen hatte er sich bereits verzogen, und der Tag war klar und blau, der erste in diesem Beinahe-Frühling. Früher war ich, wenn es morgens so war wie jetzt, raus aufs Land gefahren und hatte laut in den Wind gesungen, immer am Rande des Tempolimits.
    Glenskehy liegt nicht weit von Dublin, versteckt und gottverlassen in den Wicklow-Bergen. Ich hatte mein halbes Leben in Wicklow gewohnt und das Kaff nur insofern zur Kenntnis genommen, als gelegentlich ein Straßenschild in die Richtung wies. Es war genau, wie ich erwartet hatte: eine Handvoll Häuser, die um eine Kirche mit Gottesdienst einmal im Monat und einen Pub und einen Kramladen herum alt wurden, so klein und abgelegen, dass es selbst von der Generation, die verzweifelt auf dem Land nach erschwinglichen Häusern sucht, übersehen worden war. Acht Uhr am Donnerstagmorgen, und die Hauptstraße – eine etwas hochtrabende Bezeichnung – war das perfekte Postkartenidyll und leer, bloß eine alte Frau zog ein Einkaufswägelchen an einem verwitterten Granitdenkmal vorbei irgendwohin, hinter ihr dichtgedrängt kleine schiefe Zuckerbäckerhäuser, und über allem ragten grün und braun und teilnahmslos die Hügel auf. Ich konnte mir vorstellen, dass hier jemand ermordet wurde, zum Beispiel ein Farmer in einem generationenalten Streit um einen Grundstückszaun, eine Frau, deren besoffener Gatte durch Hüttenkoller brutal geworden war, ein Mann, der vierzig Jahre zu lange mit seinem Bruder unter einem Dach gelebt hatte: tief verwurzelte, banale Verbrechen, so alt wie Irland, aber nichts, was bewirken würde, dass ein erfahrener Detective wie Sam sich so anhörte.
    Und die andere Stimme am Telefon ließ mir noch immer keine Ruhe. Sam ist der einzige Detective, den ich kenne, der keinen Partner hat. Er liebt Alleinflüge, bei jedem neuen Fall mit einem anderen Team zu arbeiten – Kollegen in Uniform, die die Hilfe eines Experten anfordern, Partner aus dem Morddezernat, die bei einem großen Fall einen dritten Mann brauchen. Sam kommt mit allen gut aus, er ist die ideale Verstärkung, und ich war neugierig, für welche Leute, mit denen ich früher gearbeitet hatte, er diesmal die Verstärkung abgab.
    Außerhalb des Dorfes wurde die Straße schmaler, wand sich zwischen leuchtenden Ginsterbüschen bergauf, und die Felder wurden kleiner und steiniger. Auf der Kuppe des Hügels standen zwei Männer. Sam, blond und stämmig und angespannt, die Füße breitbeinig fest auf dem Boden und die Hände in den Jackentaschen; und dicht neben ihm jemand, der sich mit erhobenem Kopf nach hinten gegen den steifen Wind lehnte. Die Sonne stand noch tief am Himmel, und die langen Schatten der beiden ließen sie riesig und unheilvoll erscheinen. Ihre Silhouetten hoben sich vor den dahinjagenden Wolken ab, fast zu hell, um sie anzuschauen, wie zwei Boten, die aus der Sonne kommend die schimmernde Straße hinuntergingen. Hinter ihnen flatterte und peitschte Polizeiabsperrband.
    Sam hob die Hand, als ich winkte. Der andere Typ legte den Kopf schief, ein rasches Abkippen, wie ein Blinzeln, und ich wusste, wer er war.
    »Ich glaub,
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