Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totengleich

Totengleich

Titel: Totengleich
Autoren: Tana French
Vom Netzwerk:
hat’s mir erzählt?«
    »Wirst du gleich verstehen«, sagte Frank. Ich ging hinter ihm den Weg hinunter und konnte nur seinen Hinterkopf sehen. »Glaub mir, hundertpro.«
    Ich blickte über die Schulter zu Sam. »Keine Sorge«, sagte er leise. Seine Gesichtsfarbe kehrte zurück, in leuchtenden, ungleichmäßigen Klecksen. »Du machst das schon.«
    Der leicht ansteigende Weg war zu schmal, um zu zweit nebeneinander zu gehen, bloß ein matschiger Pfad mit struppigen, breit wuchernden Weißdornhecken auf beiden Seiten. Wo sich zwischen ihnen eine Lücke auftat, ähnelte der Hang einer Steppdecke aus ungleichmäßigen grünen Feldern, auf denen verstreut Schafe grasten – ein ganz junges Lamm blökte irgendwo in der Ferne. Die Luft war kalt und zum Trinken feucht, und die Sonne fiel lang und golden durch den Weißdorn. Mir kam der Gedanke, einfach weiterzugehen, über die Hügelkuppe und immer weiter, und Sam und Frank den brodelnden dunklen Fleck zu überlassen, der da im Morgenlicht auf uns wartete. »Da wären wir«, sagte Frank.
    Die Hecke ging in eine zerfallende Steinmauer über, die ein vergrastes Feld begrenzte. Das Haus stand dreißig oder vierzig Schritte vom Weg entfernt und war eins von diesen Cottages, wie man sie überall in Irland findet. Sie stehen seit der großen Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts leer, weil die Bewohner gestorben oder ausgewandert sind und danach niemand mehr Besitzansprüche erhoben hat. Ein Blick genügte, um mein Gefühl zu verstärken, dass ich ganz weit wegwollte von dem, was mich hier erwartete. Das gesamte Feld hätte eigentlich wimmeln müssen vor konzentrierter, bedächtiger Aktivität – Uniformierte, die Köpfe gesenkt, die sich durchs Gras bewegen, Leute von der Spurensicherung in weißen Overalls, die mit Kameras und Linealen und Fingerabdruckpinseln hantieren, Männer von der Gerichtsmedizin, die eine Trage ausladen. Stattdessen sah ich rechts und links der Cottagetür zwei Uniformierte stehen, die von einem Bein aufs andere traten und leicht hilflos wirkten, während zwei Rotkehlchen auf dem Dach herumhüpften und empört durch die Gegend krakeelten.
    »Wo sind denn alle?«, fragte ich.
    Ich hatte Sam angesprochen, aber Frank sagte: »Cooper war schon hier und ist wieder weg.« Cooper ist der Pathologe. »Hab ihn gleich kommen lassen, damit er sie sich ansieht, wegen des Todeszeitpunkts. Die Kriminaltechnik kann warten. Den Spuren passiert ja nichts.«
    »Quatsch«, sagte ich. »Klar passiert ihnen was, wenn wir da reingehen. Sam, hast du schon mal einen Doppelmord bearbeitet?«
    Frank hob eine Augenbraue. »Gibt’s noch eine Leiche?«
    »Deine, sobald die Kriminaltechniker da sind. Sechs Leute, die an einem Tatort herumtrampeln, ehe sie ihn freigegeben haben? Die drehen dir den Hals um.«
    »Das Risiko geh ich ein«, sagte Frank munter und schwang ein Bein über die Mauer. »Ich wollte die Sache eine Weile unter Verschluss halten, und das ist schwierig, wenn hier überall die Spurensicherung herumwuselt. Die fallen nur auf.«
    Irgendetwas war hier oberfaul. Es war Sams Fall, nicht Franks. Eigentlich hätte Sam die Entscheidung treffen müssen, wie mit den Spuren zu verfahren war und wer wann gerufen wurde. Was immer da in dem Cottage war, es hatte ihn heftig aus der Fassung gebracht, sonst hätte Frank ihn wohl kaum derartig überrennen und zur Seite drängen können, um den Fall prompt und wirkungsvoll genau so anzugehen, wie es ihm in den Kram passte. Ich suchte Sams Blick, aber er hievte sich gerade über die Mauer, ohne einen von uns beiden anzusehen.
    »Kannst du in dem Aufzug über Mauern klettern«, fragte Frank süßlich, »oder soll ich dir behilflich sein?« Ich streckte ihm die Zunge raus und schwang mich rüber auf die Wiese, landete knöcheltief in langem, nassem Gras und Löwenzahn.
    Das Cottage hatte zwei Räume gehabt, irgendwann, vor langer Zeit. Einer von ihnen sah noch immer einigermaßen intakt aus – sogar ein Großteil des Daches war erhalten –, der andere jedoch bestand nur noch aus Mauerresten und Fensterlöchern unter freiem Himmel. Ackerwinden und Moos und kleine, hängende blaue Blumen hatten in den Rissen Wurzeln geschlagen. Irgendwer hatte neben der Tür den Namen SHAZ aufgesprüht, nicht sehr künstlerisch, aber das Haus war selbst als Treffpunkt für Jugendliche ungeeignet. Sich selbst überlassen, verfiel es langsam und würde irgendwann einstürzen.
    »Detective Cassie Maddox«, sagte Frank, »Sergeant Noel Byrne und Garda Joe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher