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Die Hüter der Nacht

Titel: Die Hüter der Nacht
Autoren: Jon Land
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PROLOG
    Tess Sanderson eilte über den Korridor und hielt ihre Zugangskarte für die Schleuse bereit, die sie in den am meisten gesicherten Bereich des Labors bringen würde. Der Anruf hatte sie in ihrem Büro bei den Hessler Industries erreicht, nur ein paar Blocks entfernt. Nachdem sie endlose Minuten vergeblich auf ein Taxi gewartet hatte, war sie zu Fuß gegangen und schließlich fast in Laufschritt verfallen. Als sie den Gebäudekomplex erreicht hatte, der den Namen des Institutsgründers trug – Paul Hessler –, war sie außer Atem und verschwitzt gewesen.
    Ihre Hand zitterte, als sie die Karte in den Schlitz schob. Ein metallisches Klicken ertönte, und sie zog die schwere Tür auf. Augenblicklich kam es ihr kühl vor: 20° Celsius, ohne die Feuchtigkeit des klimatisierten Forschungsflügels. Angesichts der kahlen, weißen Wände und Fliesen rechnete sie unwillkürlich damit, dass ihr der antiseptische Geruch einer Klinik in die Nase stieg, doch nur der Hauch eines Parfüms oder Rasierwassers hing in der ansonsten geruchsfreien Luft.
    Tess ging an einer Reihe von elektronisch betriebenen Stahltüren ohne Klinken vorbei und dachte nur flüchtig daran, was dahinter vorging. Das Institut war nicht ihre Domäne – jedenfalls nicht in den letzten Monaten –, und auch jetzt blieb ihre Rolle strikt auf ein Projekt beschränkt, das vor über einem halben Jahr offiziell abgeschlossen worden war.
    Sie gelangte an eine Tür mit der Aufschrift ›Wegen Bauarbeiten geschlossen‹ und tippte den sechsstelligen Zugangscode ein. Die Tür öffnete sich, und Tess trat ein und schloss sie schnell hinter sich.
    Die Beleuchtung des Vorzimmers schaltete sich automatisch ein. Tess drückte das rechte Auge gegen eine Linse, die neben einer zweiten Tür eingelassen war. Ein weiches Licht leuchtete vor ihr auf, als ihre Iris geprüft wurde; nachdem sie positiv identifiziert war, glitt die innere Tür auf.
    Will Nakatami, der Chef-Forscher des Projekts, stand vor ihr. Hinter ihm breitete sich das große Labor aus, das in verschiedene Arbeitsnischen abgeteilt war, in denen seine Assistenten Daten aus ihren jeweiligen Spezialgebieten analysierten. Um völlige Geheimhaltung sicherzustellen, hatte jeder nur Einblick in diejenigen Teile des Projekts, die zum jeweiligen persönlichen Arbeitsbereich zählten. Das Gesamtprojekt blieb ein Geheimnis, über das man nachdenken, das man jedoch niemals lösen konnte.
    »Ich sollte nicht hier sein«, sagte Tess statt einer Begrüßung. »Und das wissen Sie.«
    »Sie müssen sich das selbst anschauen«, erwiderte Nakatami.
    »Was?«
    »Die neuesten Daten und Proben. Ich habe die Analyse noch nicht ganz fertig, aber …«
    Tess ergriff Nakatamis Unterarm. »Ja oder nein?«
    Nakatami nickte. »Ja.«
    »Sind Sie sicher?« Tess zog bereits ihr Handy hervor, und ihr Puls beschleunigte sich.
    »Die Daten bestätigen es. Es geht über alles hinaus, was wir in diesem Stadium erwartet oder erhofft haben.«
    Tess tippte eine Telefonnummer im fernen Israel ein und wartete, bis die Verbindung hergestellt war.
    »Projekt vier-sechs-null-eins funktioniert«, kündigte sie an und drückte auf END.

EIN MONAT SPÄTER
ERSTER TAG
1.
    »Verzeihen Sie die Störung«, sagte Danielle Barnea zu der Frau, die ihr auf der Couch gegenübersaß. »Es wird nicht lange dauern.«
    Layla Saltzman nickte steif, als hätte sie sich im Laufe der vergangenen Wochen an so etwas gewöhnt. Ihr Gesicht war ausdruckslos, die Augen trocken und ausgeweint. Ihr mattes, ungepflegtes braunes Haar hing in Strähnen herab. Im Haus, eingezwängt zwischen anderen schlichten ein- und zweigeschossigen Stuckhäusern im Jerusalemer Vorort Har Adar, roch es nach abgestandenem Kaffee und verbranntem Gebäck.
    Vor sechs Tagen hatte Layla Saltzmans siebzehnjähriger Sohn Michael Selbstmord begangen. Bevor die Akte des Falls offiziell geschlossen werden konnte, war eine letzte Befragung erforderlich, um dafür zu sorgen, dass sämtliche Fakten stimmten. Normalerweise wäre dies die Aufgabe der örtlichen Behörden gewesen – in diesem Fall der Jerusalemer Polizei –, doch sämtliche Fälle, bei denen eine Feuerwaffe im Spiel war, fielen automatisch unter die Zuständigkeit der Nationalpolizei. Und Danielles Vorgesetzter, Polizeichef – Rav nitzav – Moshe Baruch, hatte entschieden, den Fall nicht zurückzuverweisen, obwohl es sich anscheinend um Selbstmord handelte.
    Als Danielle jetzt im Wohnzimmer des Selbstmörders saß, schweifte ihr
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