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Titel: Toggle
Autoren: Florian Felix Weyh
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aus sinnvollen Worten?«
    Sie blickte ihn triumphierend an.
    »Passwörter«, murmelte Holzwanger, »ja, das könnte es sein! Jemand sucht Passwörter.«
    »Nicht, dass wir sie ihm lieferten«, sagte Melissa, die selbst im Gespräch mit ihrem Personalchef ums Image der Firma besorgt war. »Aber sicherlich gibt es da draußen immer noch ein paar Idioten deines Alters, die glauben, Passwörter schwämmen im Ozean des Internets offen herum.«
    »Trotzdem bleibt es ein seltsames Muster«, beharrte Holzwanger, ohne auf den erneuten Affront einzugehen.
    »Schluss jetzt!«, sagte die Chefin. »Dein kreatives Fünftel kannst du ein andermal ausleben. Wir haben ernsthafte Arbeit für dich, und ohne dir schmeicheln zu wollen, Doktor Nikolaus Holzwanger: Man hat in Valley Hills deinen Namen genannt. In Valley Hills!«
    Dort, in Kalifornien, saß die Firmenzentrale.
    Holzwanger zuckte mit keiner Wimper, griff aber nach der Jellybeans-Packung und warf ein buntes Bohnengemisch ein.
    »Es beeindruckt dich also auch«, stellte Melissa Stockdale fest, die Holzwangers Verlegenheitsgeste kannte. »Folge mir in die Große Freiheit. Wir haben um 16 Uhr eine Videokonferenz mit Amerika.«
    Toggle Inc. war ein junger, aber dennoch schon sehr großer IT – Konzern. An zwei Dutzend Standorten arbeiteten über 23   000 Menschen, und dass man in Valley Hills nach einem deutschen Angestellten mit der Mitarbeiternummer 19   388 gefragt hatte, erschien nicht nur diesem bemerkenswert. Auch seine Vorgesetzte wunderte sich. Sie trug zwar die Nummer 4533, aber trotz ihrer Stellung als deutsche Niederlassungsleiterin kam sie nur in Ausnahmefällen – rein privater Natur – mit der obersten Ebene in Kontakt.
    Melissa Stockdale war fünfzehn Jahre jünger als Nikolaus Holzwanger, doch in der Firmenkultur von Toggle spielte das kaum eine Rolle. Manchmal wünschte sich Holzwanger ein bisschen weniger Lockerheit und etwas mehr Form – Melissa mangelte es deutlich am Gespür für Anstand und Abstand –, doch der deutsche Personalchef sah die Gründe dafür: Sie lebte den american way of career . Als hochintelligente Praktikantin begonnen, nie Urlaub genommen, keine Mission als ehrenrührig empfunden, immer auf dem Sprung zu neuen Außenposten. Wer eine solche Schule absolviert hatte, erwies sich als ebenso begeisterungsfähig in der Sache wie nassforsch im Umgang mit anderen Menschen.
    Las Holzwanger dagegen Lebensläufe deutscher Uni-Absolventen, fühlte er sich in die Zeit seines Urgroßvaters zurückversetzt. Zwar betonten alle Bewerber, mindestens zwei Semester in Rom, London, Paris oder Barcelona verbracht zu haben, aber nie schimmerte eine persönliche Neigung durch. Im Gegenteil, es wirkte wie der Vermerk, auch mal am Kaisermanöver teilgenommen zu haben. Wasihn am meisten störte, war die gerade Linie in allen Lebensläufen. Sie ließ jeden Arbeitsplatz höherwertiger erscheinen als den vorangegangenen. Schon der gesunde Menschenverstand verriet, dass das nicht stimmen konnte. Die meisten Jobwechsel vollzogen sich aus familiären Gründen oder weil jemand arbeitslos wurde. Nicht selten musste er dann eine Stufe tiefer als zuvor anfangen.
    Nikolaus Holzwanger kannte das aus eigener Erfahrung.
    Ganz anders bei ausländischen Bewerbern, die häufig berufliche Sackgassen aufzuweisen hatten. Amerikanische Toggle-Bewerber stellten sie sogar extra heraus. Denn die Einstellungspolitik der Firma galt als legendär: Ein Ausflug ins Musikgeschäft, ein gescheitertes Startup, eine abgebrochene Karriere als Hundetrainer, ja selbst eine psychotische Sektenerfahrung waren nicht ehrenrührig. Dahinter verbargen sich womöglich schlummernde Talente, die sich für den Konzern nutzbar machen ließen.
    Toggle liebte kreative Geister.
    Aber dass kreative Geister auch Toggle liebten, bereitete dem deutschen Personalchef zuweilen Kopfzerbrechen. Regelmäßig musste er dann Kunststudenten erklären, dass die Firma vornehmlich Computerfachleute einstellte, um den Betrieb der weltweit größten Suchmaschine aufrechtzuerhalten, und nur in Sonderfällen reine Kreativität ankaufte. Das ließ sich umso schwerer vermitteln, je genauer die Kunststudenten den Laden kannten. Dessen Büros waren nämlich so bunt wie sein Firmenlogo, im Hausjargon Doodle genannt, und irgendjemand musste ja einst für die Farbgebung gesorgt haben.
    »Ein Zufallsgenerator«, antwortete Holzwanger dann mit einem strahlenden Lächeln. »Wir sind ein Hightech-Unternehmen. Simple Gebrauchskunst
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