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Laugenweckle zum Frühstück

Laugenweckle zum Frühstück

Titel: Laugenweckle zum Frühstück
Autoren: E Kabatek
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1. Kapitel |
Montag
    I don’t like Mondays
    »Name?«
    »Praetorius. Mit a-e.«
    »Vorname?«
    »Pipeline.«
    Schweigen.
    »Pipeline?«
    »Ja, genau.«
    »Isch des Ihr Ernschd?«
    »Ja.«
    Ich saß in Handschellen auf dem Polizeirevier Gutenbergstraße, Stuttgart-West. Der Beamte sah mich über den Rand seiner klapprigen Schreibmaschine hinweg misstrauisch an.
    »Kennad Sie des vielleicht buchschdabiere?«
    »P-I-P-E-L-I-N-E.«
    »Also so wie Englisch?«
    »Jaaa! Aber Deutsch ausgesprochen, verd...«
    »Bassad Se bloß uff! Sonschd gibt’s no a Azeig wega Beamdebeleidigong!«
    »Aber ich weiß doch noch nicht mal, was ich verbrochen habe!«
    »Des saga mr Ihne scho no rechtzeidig!«
    Ich sprang auf und mähte dabei meinen Stuhl um. Nichts wie raus hier! Leider verweigerten mir meine Beine den Dienst. Sie waren wie Blei. Der Polizist brüllte: »Jetzt au no abhaue wella! Des isch fai Widerstand gege die Staatsgewalt! Ab en d’Zelle, bei Wasser ond Brot!«
    Ich fuhr hoch und ließ mich erleichtert wieder in die Kissen fallen. Was für ein schrecklicher Traum!
Reichte
es nicht, dass mein wirkliches Leben mit Katastrophen gespickt war? Griffen sie jetzt sogar schon auf meine Träume über?
    Panisch wollte ich aus dem Bett hüpfen. Bestimmt war ich mal wieder zu spät dran. Duschen, anziehen und auf dem Weg in die Werbeagentur ein Laugenweckle kaufen, ich hatte wirklich keine Zeit zu verlieren. Dann fiel mir ein, dass ich mich mit dem Aufstehen überhaupt nicht beeilen musste. Heute war Montag. Mein erster Montag als Arbeitslose.
    Wie oft hatte ich mich danach gesehnt, ausschlafen zu können, wenn wir einen Abgabetermin für ein Projekt hatten und bis kurz vor Schluss Nachtschichten einlegten! Ich blieb liegen und spürte, wie langsam ein schales Gefühl in mir hochkroch. Daran war der Traum bestimmt auch nicht ganz unschuldig. Mein Name, Pipeline, beschreibt ziemlich präzise das ganze Ausmaß der Katastrophe, die vor mittlerweile 31 Jahren im tiefsten Sibirien ihren Anfang nahm.
    Meine Eltern hätten mich ja auch Irina oder Anna nennen können. Damit hätten sie mir das Leben leichter gemacht und ich müsste nicht so oft umständliche Erklärungen abgeben. Aber mein ungewöhnlicher Name ist das Ergebnis ungewöhnlicher Umstände ...
    Mein Vater, ein bodenständiger Schwabe, arbeitete als Ingenieur bei einem bodenständigen schwäbischen Unternehmen, das sich mit bodenständigem schwäbischem Fleiß und grundsolider Arbeit ein kleines Weltimperium aufgebaut hatte. Mein Vater sah neidvoll zu, wie die Kollegen in den Jahren, als das Wachstum keine Grenzen zu kennen schien, von ihren Arbeitsplätzen links und rechts seines Schreibtisches verschwanden, um einige Jahre später braun gebrannt wieder an denselben aufzutauchen, mittlerweile verheiratet mit glutäugigen brasilianischen Schönheiten, die sie zusammen mit drei kaffeebraunen Kindern in verschiedenen Größen stolz auf der Betriebsweihnachtsfeier präsentierten.
    Das Fernweh meines Vaters hielt sich in Grenzen. Er war mit seiner schönen schwäbischen Heimat, mit Strohgäu, Schwarzwald und Schwäbischer Alb ganz zufrieden. Eigentlich war es ihm ziemlich egal, wo er hinfuhr. Hauptsache, es gab in Blaubeuren oder am Titisee einen reellen Zwiebelrostbraten. Aber auf die brasilianischen Schönheiten war er neidisch. Anfang der siebziger Jahre sagte er zu seinem Chef, er würde auch mal gerne ins Ausland gehen, versäumte es allerdings, dabei die brasilianischen Schönheiten zu erwähnen.
    Wenige Monate später fand er sich im tiefsten Sibirien wieder, um den Bau einer Ölpipeline zu überwachen, die irgendwann einmal täglich mehr als eine Million Barrel Erdöl von Russland über Polen nach Deutschland transportieren sollte. In Sibirien war es kalt, der Schnee lag hoch und brasilianische Schönheiten waren eher die Ausnahme. Da mein Vater mental auf diese programmiert war, fiel ihm lange Zeit nicht auf, dass die russische Dolmetscherin Olga, die neben akzentfreiem Deutsch perfekt Englisch und Französisch sprach, unter ihrem dicken Pelzmantel absolut entzückend aussah.
    Mein Vater beherrschte außer schlechtem Hochdeutsch keine Fremdsprachen, und so musste er die Dienste von Olga ziemlich oft in Anspruch nehmen. Olga ahnte, dass sich tief im Innern dieses hünenhaften, knurrigen Wesens, das seine Gefühlsregungen unter einem dichten Bart versteckte und den fast zugewachsenen Mund nur im Notfall aufbrachte, ein guter Kern verbergen musste, aber mein Vater tat alles,
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