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Titel: Toggle
Autoren: Florian Felix Weyh
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    »Süßigkeiten?«
    Melissa Stockdale schob mit spitzen Fingern die Jellybeans von Holzwangers Tastatur.
    »Gehirnnahrung.«
    »Das sagen alle!«
    Eine hellgrüne Bohne kullerte aus der Packung und blieb zwischen F und G liegen.
    »Es ist das einzige Feld, auf dem die USA Europa überlegen sind.«
    »Bei Süßigkeiten?«
    »Bei der Entwicklung künstlicher Aromastoffe, die die Natur in ihrer sensorischen Durchschlagskraft weit übertreffen. Außerdem machen sie glücklich.«
    »Dachte ich mir: Es ist eine Droge!«
    »Iwo«, sagte Holzwanger und steckte die hellgrüne Bohne in den Mund. Birne. Ganz gut, aber bei Weitem nicht so berauschend wie Wassermelone. Wassermelone in natürlicher Form enthielt Enzyme aus der Gruppe der Superoxid-Dismutase. Superoxid-Dismutase wirkte stressabbauend, weswegen ihn schon der bloße Geschmack in Urlaubsstimmung versetzte.
    »Für einen Angestellten eines führenden US – Hightech-Unternehmens redest du ganz schön abfällig über die Weltmacht Nummer eins«, stellte Melissa fest. Ihr Blick fiel auf Holzwangers Monitor. In einem dunklen Bildschirmfenster liefen helle Buchstabenkolonnen von oben nach unten. »Was ist das?«
    »Twenty percent«, gab Holzwanger in der Konzernumgangssprache zurück. Melissa war die Tochter eines US – Offiziers und einer deutschen Lehrerin. Sie mochte es, wenn man ihr Gelegenheit bot, die Aussprache ihrer Untergebenen zu korrigieren.
    Diesmal verzichtete sie allerdings darauf. Stattdessen starrte sie weiter auf den Bildschirm und schüttelte missbilligend den Kopf.
    »Darf ich dich daran erinnern, Lady Boss«, hob Holzwanger an, »dass in meinem Vertrag steht, ich dürfe – nein müsse! – zwanzig Prozent meiner Arbeitszeit mit sinnlosen Tätigkeiten verbringen, die man mit Müh und Not gerade noch als kreativ bezeichnen kann?«
    »Was ist daran kreativ, wirre Zeichenfolgen anzustarren und dabei auf Firmenkosten Jellybeans zu vertilgen?«
    »Oh, das ist ein kleines Proggie, das ich selbst geschrieben habe«, antwortete Holzwanger stolz, »und Jellybeans gehören zu unseren Sozialleistungen. Das Proggie spielt mir alle Suchworte zu, die bei uns null Treffer erzielen. Hier: Syndoneria! Oder Thayesula .«
    »Herr Doktor Holzwanger«, sagte Melissa förmlich, »Sie sind 47 Jahre alt, promovierter Mediziner, nur durch einen dummen Zufall bei Toggle Inc. gelandet und haben absolut nicht das Recht, ein Wort der Jugendsprache wie ›Proggie‹ zu verwenden.«
    Holzwanger seufzte. »Schon vergessen, hier herrscht ja Altersrassismus.«
    Das Durchschnittsalter bei Toggle betrug 29 Jahre, seine Worte enthielten also etwas Wahres. Dennoch mussten beide lachen. Dann klickte Holzwanger mit dem Mauszeiger auf ein kleines Kästchen in der Menüleiste. »Ich bin auf etwas Merkwürdiges gestoßen. Das Proggie …« – er kostete das Wort genüsslich aus – »… speichert nämlich auch, was es über den Tag so einfängt. Mit der Zeit ergibt sich ein Verlaufsmuster. Da!«
    Ein paar Kurven erschienen auf dem Bildschirm.
    »Seit Wochen tauchen über Stunden hinweg immer wieder bestimmte Buchstabenkombinationen auf. Dann verschwinden sie … um nach ein paar Tagen urplötzlich zurückzukehren.«
    »Na und?« Melissa Stockdale kaute an einer Haarsträhne. Sie sah aus wie die junge Juliette Binoche, ein bisschen zu mager allerdings, und wer ihr das erste Mal begegnete, hielt sie für eine hübsche, aber desorientierte BWL – Studentin. In Wahrheit unterstand ihr das Deutschlandgeschäft von Toggle Inc., dem größten Suchmaschinenbetreiber der Welt.
    Holzwanger knurrte: »Wenn ich mich als User vertippe und deswegen keinen Suchtreffer erziele, korrigiere ich meine Eingabe, statt sie falsch zu wiederholen. Nein, hier sucht jemand mit voller Absicht nach nicht existenten Begriffen.«
    Er hielt einen Moment inne.
    »Falls es wirklich nur einer ist. Mein Programm zeigt bis zu zwanzig verschiedene IP – Nummern, unter denen der jeweilige Begriff abgefragt wird.«
    » IP – Nummern sind nicht dein Ressort«, ermahnte ihn Melissa. »Du bist Personalentwickler, kein Programmierer. Außerdem überwachen die IT – Cracks in Zürich das Suchwortkorpus. Das müssen sie allein schon tun, um ihre Rechtschreibkorrektur auf dem Laufenden zu halten. Wenn es Auffälligkeiten gäbe, wären sie dort längst bekannt.«
    »Mhm«, machte Holzwanger. Er schien nicht überzeugt.
    »Und außerdem … warum soll jemand nicht sinnlose Buchstabenkombinationen suchen? Bestehen Passwörter
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