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Der Countdown

Der Countdown

Titel: Der Countdown
Autoren: Rick Mofina
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PROLOG
    D ie Frau in dem Video trägt einen weißen schulterlangen Hidschab, der mit kostbaren Perlen bestickt ist. Der makellose Seidenschal umrahmt ihr Gesicht und betont ihre natürliche Schönheit. Sie nickt kurz in Richtung Kamera.
    Man hört ein leises Signal, dann fängt sie an.
    “
Ich heiße Samara. Ich bin keine Dschihad-Kämpferin. Ich bin Witwe und Mutter, getauft mit dem Blut meines Mannes und meines Kindes, als eure Regierungen sie ermordeten.”
    Ihre kraftvolle, intelligent wirkende Stimme unterstreicht ihre Entschlossenheit, ihr leicht akzentgefärbtes Englisch spiegelt eine Mischung aus Mittlerem Osten und East London wider. Ihre Augen brennen sich in die Kamera, die langsam zurückfährt. Sie spricht direkt ein Publikum an, das sie bald auf jedem Fernseher dieser Welt verfolgen wird.
    Es folgt ein Moment des Schweigens. Ihre verschlungenen Hände ruhen vor ihr auf einem einfachen Holztisch. An Daumen und Ringfinger ihrer linken Hand glitzern Ringe. Die Kamera fährt weiter zurück und gibt den Blick auf ein gerahmtes Familienfoto mit einem Mann, einem Jungen und der Frau frei. Sie alle lächeln. Die Augen der Frau leuchten vor Freude. Denn es ist ein Bild aus einer anderen Zeit. Aus einem anderen Leben. Es steht neben ihr als Grabstein ihres Glücks und Zeuge ihres Schicksals.
    Um den Schmerz am Leben zu halten.
    Für die Experten des FBI, die ihre Botschaft analysieren werden, gibt es keinen vorgefertigten Text. Keinen Granatwerfer vor ihr. Kein AK-47-Gewehr neben ihr.
    Keine Vorträge aus dem heiligen Koran.
    An der Wand hinter ihr hängen keine schwarz-goldenen Flaggen. Überhaupt keine Flaggen. Kein Teppich oder andere Vorhänge. Der Hintergrund besteht nur aus angewinkelt aufgehängten Spiegeln.
    Nichts verrät den Aufenthaltsort der Frau oder deutet darauf hin, wo sie das Video hat aufnehmen lassen oder wer ihr dabei behilflich ist. Sie könnte sich in einem sicheren Haus im Westjordanland befinden. Oder in Athen. Vielleicht in Manila, Paris oder London. Oder auch Madrid oder Casablanca.
    Oder in einem Vorort in den Vereinigten Staaten.
    “
Eure Soldaten sind in mein Haus eingedrungen und haben meinen Mann und mein Kind gefoltert. Sie zwangen sie, mit anzusehen, wie mich einer nach dem anderen schändete. Dann töteten sie meinen Mann und mein Kind vor meinen Augen. Sie flohen, als eure Bomber den Tod in meine Stadt brachten. Ich trug meinen toten Sohn durch die Ruinen zum Ufer des Flusses Eden, wo ich erst ihn, dann meinen Mann und schließlich mein Leben begrub. Doch ich wurde wiedererweckt, um diese Verbrechen zu sühnen.
    Und es sind diese Verbrechen, die meinen gerechten Zorn einer Witwe entfachen. Für diese Verbrechen werdet ihr den Tod spüren.
    Zu sterben, das bedeutet für mich nicht den Tod. Zu sterben ist für mich wie ein heiliges Versprechen, das sich erfüllt. Weil ich die Zerstörung meiner Welt dadurch gerächt haben werde, dass ich den Tod in die eure brachte. Der Tod ist meine Belohnung, weil ich meinem Mann und meinem Kind ins Paradies folge. Um ihretwillen bin ich die Märtyrerin. Um ihretwillen bin ich die Rache.”

Buch eins
    “Wo ist mein Sohn?”

1. KAPITEL
    B lue Rose Creek, Kalifornien
    Als Maggie Conlin das Haus verließ, glaubte sie an die Lüge.
    Sie glaubte, dass das Leben wieder normal verlief. Sie glaubte, dass die Schwierigkeiten, die ihrer Familie zu schaffen machten, überwunden waren. Dass Logan, ihr neunjähriger Sohn, inzwischen zurecht kam mit dem Tribut, den der Irak von ihnen forderte.
    Doch die bittere Wahrheit nagte an ihr, als sie zur Arbeit fuhr.
    Ihre Narben – die unsichtbaren – waren nicht verheilt.
    Als sie heute Morgen mit Logan auf den Schulbus gewartet hatte, war er unruhig gewesen.
    “Du liebst Dad, oder, Mom?”
    “Aber ja. Von ganzem Herzen.”
    Logan hatte zu Boden gesehen und einen Kieselstein fortgekickt.
    “Komm, sag schon, was ist los?”, fragte sie.
    “Ich mache mir Sorgen, dass irgendetwas Schlimmes geschehen wird. Dass ihr euch vielleicht scheiden lasst.”
    Maggie umfasste seine Schultern. “Niemand lässt sich scheiden. Es ist völlig in Ordnung, ein bisschen durcheinander zu sein. Es war nicht immer einfach in den letzten Monaten, seit Daddy nach Hause gekommen ist. Aber das Schlimmste ist jetzt vorüber, okay?”
    Logan nickte.
    “Daddy und ich werden immer für dich da sein, zusammen in diesem Haus. Immer. Okay?”
    “Okay.”
    “Denk daran, dass ich dich heute für das Schwimmtraining von der Schule abhole.
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