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Autoren: Florian Felix Weyh
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wiederkommen, sobald ihm jemand die Zunge herausgeschnitten hätte.
    Wer den Sarg trägt, soll die Klappe halten.
    Schon klar.
    Immerhin, jetzt betrug sein Stundenlohn zwanzig Euro. Netto! Er war alleine, niemand konnte seinen Arbeitstakt kontrollieren.Oder ihn anschnauzen, wenn er morgens eine Stunde später anfing. Das war schon was – solange man beide Augen vor der Tatsache verschloss, dass er 78 Jahre lang arbeiten musste, falls ihm abends beim Bier ein Wörtchen zuviel herausrutschte. In diesem Fall musste er laut Arbeitsvertrag eine Konventionalstrafe von 250   000 Euro bezahlen.
    Lachhaft!
    Was konnte man denn groß erzählen über diesen Ort, diese Arbeit, diese Bücher?
    Maschine Nummer drei gab ein akustisches Signal von sich, eine scheppernde Fanfare. Anton Purgler hätte gerne etwas Melodischeres gewählt, aber ihm war verboten worden, irgendeine Einstellung an den Geräten zu verändern. Dann fiel Nummer drei mit einem letzten Schnaufen in den Ruhemodus.
    Das lag exakt im Rhythmus.
    In den vier Monaten, in denen Purgler nun mit den Buchscannern zu tun gehabt hatte, hatte er ein ausgeklügeltes System entwickelt, wie er morgens zu Schichtbeginn unterschiedlich dicke Bücher – oder Bücher verschiedener Sprachen oder Bücher unterschiedlicher Schrifttypen – in die zwölf Maschinen einlegte, damit nicht alle zugleich mit ihrer Aufgabe fertig wurden. Obwohl jede LKW – Lieferung eine unmissverständliche schriftliche Anweisung enthielt, in welcher Reihenfolge die Kisten abzuarbeiten seien, klappte das erstaunlich gut. Zwischenfälle ereigneten sich nur, wenn ein Scanner aus Not stoppte, weil er auf verklebte Seiten stieß. Oder weil er bei sehr brüchigem Papier einen Schaden am Buch angerichtet hatte.
    Bei Nummer drei war alles in Ordnung.
    Anton Purgler warf einen Blick auf den Computermonitor links neben dem Scanroboter, scrollte ein paar Seiten rückwärts und fand nicht ein einziges unterkringeltes Wort in der Textdatei.
    Makellos.
    Das OCR – Programm der SR – 300 war phänomenal. Selbst Frakturschrift wandelte es in eine für jedermann lesbare Datei um. Bei manchen Vorlagen konnte man ganze Kapitel durchforsten, ohne auf einen einzigen Umwandlungsfehler zu stoßen. Bücher, die über Jahrhunderte hinweg in dunklen Bibliotheksmagazinen vor sichhingedämmert hatten, ohne dass je ein menschlicher Blick auf sie gefallen wäre, wurden auf diese Weise der Welt wieder zugänglich gemacht.
    So jedenfalls hatte es ihm der Mann beim Einstellungsgespräch erklärt: Die Textdateien wanderten ins Internet, und mit dem richtigen Stichwort in einer Suchmaschine konnte sie jedermann zum eigenen Gebrauch aufrufen.
    »Wozu dann diese Geheimniskrämerei?«, hatte Purgler gefragt und die Stirn gerunzelt. »Abgelegene Lagerhalle mitten in der Pampa, keine Kollegen, Schweigepflicht?«
    Der Mann hatte maliziös gelächelt: »Konkurrenzdruck. Unsere Roboter sind Spezialanfertigungen. Und das mit der Konventionalstrafe hat etwas damit zu tun, dass Ihr Lebenslauf, sagen wir mal … ein paar Schönheitsfehler enthält.«
    Daraufhin hatte es Purgler vorgezogen, keine weiteren Fragen zu stellen.
    Er nahm Der Menschenseele Not aus der Scannerwiege von Nummer drei und warf das Buch achtlos in eine der blauen Plastikkisten. 1927, das bedurfte keiner besonderen Rücksichtnahme. 20.   Jahrhundert fand man überall, in Bibliotheken und Antiquariaten, da beschädigte er kein Unikat, falls er die Kiste verfehlte. Und der Autor Maximilian Bircher-Benner … ein Nobody.
    Oder war das der mit dem Müsli?
    Die Hitze ließ noch das letzte bisschen Bildung in seinem Kopf verdampfen!
    Purgler nahm ein neues Buch vom Stapel. August Bier, Die Seele. Die dunkelblaue Box mit der Nummer 44-321 schien eine Psychokiste zu sein. Die hellblaue 42-845, deren letzte drei Exemplare eben in den Scannern lagen, war dagegen ausnahmslos 18.   Jahrhundert gewesen, verstaubte Traktate über Gott und die Welt. Hinter der vorgeschriebenen Scanreihenfolge ließ sich keine Logik ausmachen, genauso wenig wie hinter der Nummerierung der Kisten.
    Purgler klappte das schlammgrüne Buch auf – fester Einband, Erscheinungsjahr 1939 – und legte es in die Scannerwiege. Sie bestand aus zwei massiven Eichenholzbrettern, die sich im Winkel von 45 Grad spreizten.
    Du geile Schlampe, öffne deine Schenkel!
    Die SR – 300 faszinierte Purgler. Natürlich hatte der Mann beim Einstellungsgespräch gelogen: Man konnte diese Maschinen frei kaufen, sofern man 80
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