Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Toggle

Toggle

Titel: Toggle
Autoren: Florian Felix Weyh
Vom Netzwerk:
das ist klar!«
    Er strich sich selbstgefällig über den Bart.
    »Aber Fünfgeld hatte ein klares Stimmenübergewicht«, wandte Pia ein. »Warum verschwand die Formel trotzdem? Gut, es war nur eine vorgelagerte Abstimmung über das Verfahren, aber immerhin, er blieb klarer Sieger.«
    »Das ist Dialektik!«, triumphierte Dijkerhoff. »Die Auslöschung erfolgt, wenn überhaupt nur die Frage nach der Legitimität gestellt wird! Die Antwort spielt dann keine Rolle mehr. In einem perfekten Gemeinwesen, wie es Ferdinando Galiani vorschwebte, verbietet sich die Anwendung von Regeln, wenn diese auch nur von einem Betroffenen abgelehnt werden. Schon der Abstimmungsantrag besiegelt dann ihr Ende.«
    »Darauf hätte dein Kusin auch kommen können«, warf Holzwanger ein.
    »Hätte er«, entgegnete Pia, »aber immerhin begriff er zuletzt, wie gefährlich diese überhebliche Spielerei mit dem Menschenwert ist.«
    »Hätte er nicht«, grummelte Dijkerhoff. »Denn als Informatiker fehlt ihm dazu der philosophische Hintergrund. Wer denkt, es ginge bei IT nur um Algorithmen, hat nichts begriffen! Übrigens bin ich übergangsweise der neue Vorsitzende der IAS . So lange, bis der Verein ordnungsgemäß abgewickelt ist.«
    »O Himmel!«, entfuhr es Pia. »Dann wickeln Sie mich bitte als Erste ab!«
    »Ja, löschen Sie Pia!«, befahl Holzwanger.
    »Löschen? Löschen kann nicht mal der Herrgott im Himmel, weiler die Programmierung nicht kennt. Das jedenfalls hab ich begriffen. Auf uns lasten Hightech-Irrtümer, keine Heiligtümer.« Er senkte seine Stimme: »Fürchten Sie nicht, dass wir genau in diesem Augenblick von irgendeinem verteufelten Satelliten belauscht werden, der unsere Worte aufzeichnet und auf ewig konserviert?«
    Doch die Erdbeobachtungssatelliten Ikonos und Quickbird 2 waren längst nach München weitergezogen. Im Englischen Garten nahe des Monopteros hielt Anna-Katharina Loibl ein Buch aus dem Brandenburger Antiquariat auf den Knien und konzentrierte sich auf dessen Text. Seine äußere Gestalt war unansehnlich, ein hellblaues, westliches Paperback aus den Siebzigern, doch Anna-Katharina hatte es wegen seines Stempels behalten: Geheim! Ausschliesslich für den internen Dienstgebrauch! Hochschule des MfS, Potsdam.
    Bis zum Ende ihrer Ferien wollte sie es durchgearbeitet haben. Bücher waren Wegweiser, und sie suchte noch im Leben. Zum Glück fielen die einzelnen Textstellen im Sammelband Französische Moralisten schmal aus. Aphorismen und Notate, mehr nicht. Dieses hier war mit einem roten Ausrufezeichen versehen:
    Ein Wechsel in der Verfassung ist etwas sehr Schönes, wenn er stattgefunden hat. Aber es ist unangenehm, ihn herbeizuführen. Zwei oder drei Generationen plagen sich damit, und erst die Nachwelt findet sich in den neuen Zustand hinein. Aber die Nachwelt gehört zu den möglichen Dingen, und wir sind wirkliche Wesen. Sollen sich die Wirklichen für die Möglichen so quälen, dass sie unglücklich werden?
    Warum das geheim gehalten werden musste, verstand Anna-Katharina nicht. Doch wer verstand schon die Welt der Erwachsenen?



[Menü]
Nachbemerkung
    Nachbemerkung
    Ferdinando Galiani, Abbé von San Lorenzo im Bistum Centola, lebte von 1728 bis 1787, schrieb bereits in jungen Jahren weithin beachtete Bücher und Pamphlete, verbrachte die wichtigste Zeit seines Lebens unter Ludwig XV . in der damaligen Welthauptstadt Paris und darf mit Fug und Recht als Prototyp des modernen Intellektuellen gelten – mit allen Begleiterscheinungen mangelnder Gottesfurcht, sexueller Libertinage und ungebremster Eitelkeit. Sein Blick war scharfsinnig, seine politische Analyse illusionslos. Auf welche Seite der kurz nach seinem Tode ausgebrochenen Französischen Revolution er sich geschlagen hätte, mag man nur vermuten – seine lebenslang geäußerten Sottisen gegen Adel und Volk legen nahe, dass sein Abstand zu beiden Kontrahenten etwa gleich weit gewesen wäre. Spätere Historiker haben aus seiner Schrift über den Getreidepreis immerhin die Vorstellung eines »Regierungssozialismus« herausgelesen, während die Gegner totalitärer Staatsformen reichlich Stellen in Galianis Werk finden, die ihn als klassischen Liberalen ausweisen. Mit heutigen Kategorien ist er wohl nicht zu fassen.
    Obwohl der kleinwüchsige Mann viel schrieb, finden sich nirgendwo Hinweise auf eine apokryphe Schrift. Auch die Teilnahme am Prix de morale der Senfstadt Dijon 1754 wird keineswegs überliefert. Wohl aber ein seltsamer Umstand: Von den zwölf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher