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Davina

Titel: Davina
Autoren: Anthony Evelyn
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    Der Mann, der Davina Graham gegenübersaß, zündete sich eine Zigarette an. Er rauchte Sub Rosa, die dickste und teuerste türkische Zigarette, die von Sullivans in der Burlington Arcade hergestellt wurde. Weil ihn der Name belustigte, hatte er die Marke zu seinem Kennzeichen erkoren. Ein weiteres Merkmal war seine Fähigkeit, seinem jeweiligen Gesprächspartner schlechte Nachrichten mit gewinnendem Lächeln mitzuteilen. Keine Krise konnte seiner onkelhaften Gelassenheit etwas anhaben, und niemand hatte ihn je die Stirn runzeln oder wütend dreinblicken sehen, wenn er sich ärgerte. Als ihn Davina so ansah, fand sie, daß er überhaupt kein echtes menschliches Gefühl zu zeigen vermochte. Seine Bonhomie war ebenso verlogen wie die begütigende Anteilnahme, die er seinen Leuten gegenüber an den Tag legte, wenn diese etwas falsch gemacht hatten. Ein kaltherziger, berechnender Kerl. Und genau das verlangte sein Beruf von ihm. Anders als die tollen Burschen vom Secret Intelligence Service in den Romanen, hatte er einen Namen, den jeder kannte. Er verachtete die schülerhafte Einstellung zur Spionage, diese Vorliebe für Anfangsbuchstaben und törichte Codewörter für Dinge, die ohnehin auf der Hand lagen.
    Er war Brigadier James White, und obwohl sie schon fünf Jahre für ihn tätig war und er ihren Vater gut kannte, redete er sie immer nur als Miß Graham an. Sie sah ihn, während er sprach, unverwandt an; er flößte ihr keine Furcht ein, denn er hatte sie auch nie hinters Licht geführt. Sie war an Männer seines Typs gewöhnt; sie hatte nichts gegen sie, bewunderte sie aber auch nicht. Sie hatten eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen, genau wie sie. Und dieser Beruf war nichts für Schwächlinge.
    Sie hatte ihre Wochenmeldung abgegeben, und der Brigadier hatte hin und wieder einige Bemerkungen einfließen lassen und sich ihre Antworten angehört. Er lehnte sich jetzt in seinem Sessel zurück, zog an seiner Zigarette und blies den übel riechenden Rauch von sich. »Er fühlt sich also Ihrer Meinung nach nicht besonders glücklich«, sagte er.
    Davina nickte. »Das ist nur natürlich: er ist durch das, was er getan hat, aus dem Gleichgewicht geraten. Ich hatte in dieser Phase Depressionen, aber keine Rastlosigkeit bei ihm erwartet.«
    »Und er ist rastlos«, sagte der Brigadier.
    »Ja. Er versucht, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich kenne die Symptome.«
    »Hoffentlich nicht aus persönlicher Erfahrung?« fragte er freundlich.
    »Ich bin kein ruheloser Typ«, sagte sie. »Das habe ich doch wohl bewiesen.«
    »Selbstverständlich.« Das Lächeln wurde breiter und war dann ganz verschwunden. »Wenn er ruhelos ist, scheint mir das ein schlechtes Zeichen«, sagte er. »Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen, um ihn glücklich zu machen. Sie müssen sich etwas ausdenken.« Er hielt einen Augenblick inne und meinte dann wie beiläufig: »Er hat nie nach einer Frau gefragt. Könnte das die Ursache sein?«
    »Es hat ihm an Gelegenheiten nicht gefehlt«, erwiderte Davina. »Er redet viel von seiner Frau und von seinem Kind.«
    »Acht Monate sind für manche Männer eine lange Zeit«, meinte der Brigadier.
    »Ich werde sehen, was ich tun kann«, versprach sie.
    »Handeln Sie nach eigenem Gutdünken, Miß Graham. Machen Sie sich über die Kosten oder dergleichen keine Sorgen. Wenn er unzufrieden ist, gibt er uns nicht das, was wir von ihm erwarten. Ich danke Ihnen.« Er schenkte ihr sein bedeutungsloses Lächeln und beugte sich wieder über die Papiere auf seinem Schreibtisch.
    Sie ging hinaus. Auf dem Korridor sah sie auf ihre Armbanduhr. Es war 17 Uhr 48. Zu dieser Tageszeit würde es zwei Stunden dauern, um nach Sussex zu gelangen. Mitten im größten Stoßverkehr. »Verdammt noch mal«, sagte sie sich.
    »Warum konnte er mich nicht früher bestellen –«
    »Hallo, Davina.«
    Sie wäre an dem Mann fast vorbeigegangen, ohne ihn zu bemerken. Sie blickte auf und blieb stehen.
    »Hallo, Peter. Was machst du denn hier? Ich dachte, du machst dir in New York ein schönes Leben.«
    Er war ein großer, dunkelhaariger Mann von Ende Vierzig; er trug eine Brille und war nachlässig gekleidet. Er hätte Lehrer sein können. »Das habe ich auch getan. Aber jetzt bin ich wieder hier. Zum Wiedereinsatz in der Heimat, wie man so schön sagt. Mit anderen Worten – man glaubt, meinen Job einem Jüngeren übertragen zu müssen.«
    »Und hat man das getan?« fragte sie.
    »Komm, wir genehmigen uns einen Drink, ich bin auf dem
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