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Titel: Toggle
Autoren: Florian Felix Weyh
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als Frage eingegeben? Da, dort oben! Das ist doch nicht, was wir eigentlich entscheiden wollten. Oder?«
    Durch die Computernetze der Welt jagte ein Impuls. Nicht ungewöhnlich, millionenmal am Tag rasten Bits und Bytes Hunderttausende Kilometer die Glasfaser- und Kupferkabel entlang und schufen zusammen jenes elektronische Imperium, das sich anschickte, wirklicher als die Wirklichkeit zu werden.
    Doch dieser Impuls war anders.
    Wie ein kranker Keim, der sich unaufhörlich vermehrte, überschwemmte er das Netz mit einer Welle von Kopien seiner selbst, infolgedessen sich das elektronische Imperium minimal, doch merklich veränderte.
    Etwas fehlte.

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    111
   Valley Hills
Mittwoch, 5.   August, 15   :   00
    Steve aus der IT steckte seinen kurzgeschorenen Kopf in Samyia Prakeshs Büro: »Kommst du mal? Ich brauche deinen Rat.«
    Er schien ein bisschen verwirrt. Die Inderin stand von ihrem Schreibtisch auf, wo sie sich gerade ein paar Filme auf Toggle Video angesehen hatte, und folgte ihm zwei Treppen hinab in sein Technikreich.
    »Es ist weg!«, sagte er. »Vor drei Minuten vom Bildschirm verschwunden.« Er hackte hektisch auf seiner Tastatur herum. »Nicht nur übers Internet weg, sondern auch komplett aus unserem Hausnetz verschwunden.«
    »Was, Steve?«, fragte Samyia Prakesh.
    »Na, dein Ding! Deine hinduistische Weltformel.«
    »Toggle Democracy?«
    »Unauffindbar! Gelöscht ist gar kein Wort! Es ist, als hätte es das Programm auf unseren Servern nie gegeben.«
    Die Inderin musste lachen: »Das ist lustig! Ich bin nämlich seit gestern bei Vanish eingesetzt, unserer noch ziemlich bescheidenen Anstrengung, Dokumente auf fremden Servern so zu maskieren, dass sie der Suchmaschine wie gelöscht vorkommen.«
    Der IT – Verantwortliche schüttelte den Kopf. »Hör mal, das geht nicht mit rechten Dingen –«
    »Steve, das war eine Betaversion! Du weißt, wie viele Betaversionen wir im Jahr verheizen. Mach dir keine Gedanken darüber!«
    Sie klopfte ihm aufmunternd auf den Rücken. Dann ging sie zurück an ihre Arbeit. Vanish!
    Komisch, dass es so etwas schon gab.

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Epilog
Eine Stelle
    Von keiner Wolkenformation behindert schossen die Erdbeobachtungssatelliten Ikonos und Quickbird 2 randscharfe Aufnahmen der Häuser, Heuschober und Hütten im Hochtal von Mellau. Obwohl sich dort die Feinsten, Kultiviertesten und Reichsten versammelten, bot sich den Kameralinsen nur ein unspektakuläres Bild. Professor Dr. Reimar Dijkerhoff lag unter einem orangefarbenen Sonnenschirm im Liegestuhl und durchblätterte – wie so oft – eines seiner eigenen Werke und war von dessen Formulierungskunst entzückt: »Die Demokratie ist ihre eigene Visionsquelle«, las er halblaut. »Sie bringt die Korrektive ihrer Zustände aus sich selbst hervor.«
    Er nickte voller Zustimmung. Ihm konnte man nichts vormachen.
    In seinem Rücken näherten sich Nikolaus und Pia Holzwanger, beide ausnehmend guter Dinge. Ein schlecht informierter Headhunter hatte den vermeintlichen Toggle-Personalchef beim Frühstück auf dem Handy erwischt und ihn mit großspurigen Worten zu einem Vorstellungsgespräch bei einer Wasserfirma überredet. »Wasser ist ausgezeichnet«, schwärmte Holzwanger. »Abseits aller Politik und bar jeden Verschwörungspotenzials.«
    »Gut geschlafen?«, frage Pia den schnauzbärtigen Philosophen. »Oder von grässlichen Vereinigungen geträumt?«
    Dijkerhoff fuhr erschrocken hoch. »Jede Vereinigung, die sich nicht mit dem anderen Geschlecht vollzieht, ist grässlich«, knurrte er dann. »Aber werfen Sie mir bitte nicht vor, dass ich bei den Idioten aus Selbstgefälligkeit eingetreten bin. Sie sind es auch!«
    »Ich werfe Ihnen gar nichts vor, ich bin voller Bewunderung! Wie konnten Sie nur ahnen, dass die Infragestellung der Formel zu ihrer Selbstzerstörung führt?«
    »Erstens ist das eine gängige Schlaufe«, erklärte der Philosoph. »Man kann auch die Demokratie demokratisch infrage stellen, so dass sie danach abgeschafft ist. Zweitens habe ich – entgegen dem albernen Geck Ranchin! – Ferdinando Galianis Biografie wirklich studiert. Es gibt da eine Notiz auf dem Sterbebett, die an Fermats letzten Satz erinnert, eine hingeworfene Bemerkung, man könne das Unfehlbare System vor Missbrauch schützen, indem man eine Selbstauflösungsklausel einbaut. Tja und wenn einer eine Idee hatte, dann beflügelt das andere, diese Idee ein zweites Mal auszubrüten. Natürlich nur, wenn man ähnliche Geisteskräfte besitzt,
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