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Titel: Toggle
Autoren: Florian Felix Weyh
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über beides hinweg. »Schluss mit dem Schmu«, erklärte er. Das Wort bewies, dass er wirklich einem deutschen Elternhaus entstammte. »Wie Sie wissen, haben wir ein großartiges Projekt am Laufen. Ein absolut einzigartiges Ding! Seit Jahren scannen wir alle Bücher der Menschheitsgeschichte ein. Zuerst in den USA , nun auch in Europa. Jeden auf der Welt macht das glücklich. Jeden! Nur die Deutschen nicht.«
    »Das stimmt nicht«, warf Melissa Stockdale ein. »In Frankreich, Spanien, Italien, Dänemark –«
    »Dänemark!«, höhnte Weinberger. »Mir kommen die Tränen.« Er knackte nach Art eines Hollywood-Mafioso mit den Fingerknöcheln. »Nein, die Deutschen sind die größten Querulanten. Und jetzt werden sie aggressiv! Wie wir aus sicherer Quelle erfahren haben, drängen sie in Washington darauf, uns das Handwerk zu legen. Nur um ihre eigenen Staatsgelder zum Fenster rauszuwerfen! Sie wollen eine ›Europäische Bibliothek‹ in der EU aufbauen. Dass ich nicht lache! Dazu hinken sie technologisch viel zu weit hinterher.«
    »Was heißt, das Handwerk legen?«, unterbrach ihn Melissa. Sie verspürte eine gewisse Unruhe. Seit Monaten hatte sie für nichts als den Erfolg von Toggle Books gearbeitet.
    »Sie wollen die Einstellung des gesamten Projekts. Kein kostenloses Weltkulturerbe mehr auf den Bildschirmen der Welt, für niemanden. So sieht’s aus!«
    »Das tut Washington nie«, warf Holzwanger ein.
    »Natürlich nicht, Doc! Für irgendwas müssen unsere Wahlkampfspenden ja gut sein. Aber Washington will auch nicht sein Gesicht verlieren.« Weinberger machte eine kurze Pause. Dann grinste er in die Kamera: »Man hat uns nahegelegt, die Deutschen mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Ihnen fehlt jedes sachliche Argument, sie werden nur von dumpfer Angst gequält. Diese Hosenscheißer!«
    »Das stimmt leider auch nicht!«
    Melissa Stockdale wirkte plötzlich müde. In Dutzenden von Podiumsdiskussionen und Hunderten von Einzelgesprächen hatte sie einen Gegenwind erfahren, wie sie ihn sich in schlimmsten Albträumen nicht hätte vorstellen können: »Wir haben uns keinen Deut darum gekümmert, ob die Autoren, deren Bücher wir einscannen, noch leben. Wir haben nicht gefragt, was sie davon halten, und ob sie dafür entschädigt werden wollen.«
    Weinberger winkte gelangweilt ab. »Ein Nebenkriegsschauplatz. Das erledigen wir mit dem Scheckbuch. Nein, bei euch geht es um nackte Panik. Angst vor Veränderung, Misstrauen gegenüber Technik, Angst vor Spitzeln.«
    Damit lag er nicht ganz falsch.
    Wollte Holzwanger – rein aus Neugier – in Bewerbungsgesprächen kritische Töne zu Toggle hören, blieben ausländische Kandidaten stumm. Nicht, weil sie feige waren – ihnen fiel einfach nichts ein! Bei Deutschen verursachte die Frage dagegen stets einen Dammbruch. Er begann mit George Orwells 1984 und endete bei Gestapo und Stasi. Weil man bei Toggle neben der Suchmaschinenfunktion auch viele andere Datendienste nutzen, ja sogar die Welt aus der Vogelperspektive betrachten konnte, glaubte Umfragen zufolge jeder dritte Anwender, ein Toggle-Satellit würde ihn ständig beobachten. Sobald er sich öffentlich küsste, wanderte das Foto mit Name, Anschrift, Geburtsdatum und Blutgruppe ins Internet.
    Absurd!
    Toggle hatte nicht mal eigene Satelliten. Alle Geodaten kaufte der Konzern zu. Als Spione agierten seit jeher die Regierungen der Welt.
    »Was heißt, die Europäer mit ihren eigenen Waffen schlagen?«, hakte Holzwanger nach.
    »Wir entängstigen sie«, brüllte Weinberger begeistert in die Kamera. »Washington schlägt vor, dass wir freiwillig  – freiwillig, hahaha! – einen großen TA – Zinnober veranstalten, wie man ihn noch nie gesehen hat! Mit hochkarätigen Wissenschaftlern, Nobelpreisträgern, meinetwegen auch Kirchenleuten und Journalisten, diese ganzen Wichtigtuer und Windmacher eben, und wenn sich darunter ein Datenschützer versteckt, werdet ihr beiden Hübschenden ja wohl so weit unter Kontrolle bringen, dass er uns nicht in die Parade fährt.«
    » TA ?« Dieser Abkürzung war Holzwanger noch nie begegnet.
    »Technology Assessment«, erklärte Melissa, »Technikfolgenabschätzung. Ist so eine Modeerscheinung.«
    Sie wirkte dennoch erleichtert. »Jeder Gegner kann seine Horrorvision ausbreiten. Wir hören nur zu, zensieren nichts, das bringt uns exzellente PR . Weil sich Wissenschaftler aber immer sofort zerstreiten, relativiert sich jede gefährliche Aussage.«
    »Genau«, freute sich Weinberger.
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