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Titel: Toggle
Autoren: Florian Felix Weyh
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oder Othmarschen, mit dreien in Bahrenfeld, Lurup oder Eidelstedt. Wer in Hamburg vier Kinder hatte, wohnte nicht mehr in Hamburg.
    Dr. med. Nikolaus Holzwanger, Personalchef von Toggle Deutschland, nahm vom Büro aus den Bus zur U-Bahn, fuhr mit der U-Bahn vier Stationen nach Altona, bestieg dort die S-Bahn nach Wedel, an deren Endpunkt sein Auto wartete. Seit zwölf Jahren besaß er ein beengtes, dafür aber erschwingliches Reihenhaus in einem Elbmarschdorf.
    Als er in Wedel die S-Bahn verließ, hatte er das Gefühl, als wehe von der Elbe her ein Schirocco. Wegen der ungewöhnlichen Trockenheit hatten sich in Brandenburg schon kleine Tornados gebildet und etliche lose Dächer abgeräumt. Dank seiner Meeresnähe blieb Hamburg von solchen Unbilden verschont. Doch die Hitze hing trotzdem über der Stadt.
    Der betagte VW Sharan parkte im Schatten. Holzwanger ließ die Fenster herunter, um die abgestandene Luft des Tages herauszulassen. Dann startete er den Motor.
    Während der Fahrt in Bus und Bahn waren ihm schon etliche Hearingskandidaten durch den Kopf gegangen. Er ahnte zwar nur grob, worauf es bei einer Technikfolgenabschätzung ankam, doch wenn Toggle aller Welt zeigen wollte, wie offen die Firma mit Kritik umging, waren die besten Köpfe gerade gut genug.
    Offenheit war Toggles größte Stärke.
    So hatte es Holzwanger jedenfalls empfunden, als er in einer Phase tiefer Verzweiflung als Angestellter eines konservativen Traditionsunternehmens ins helle Licht des aufstrebenden Internetkonzerns hinübergetreten war. Nicht die Versorgung mit Sportgeräten, Massageterminen und Süßigkeiten schlug dabei zu Buche – Toggle Seven nannte man im Hausjargon den kiloschweren Gewichtszuwachs im ersten Jahr (in den USA brachten sie es angeblich sogar auf Toggle Fifteen) –, sondern die Bereitschaft, Individualität zu respektieren und Konflikte untereinander gar nicht erst aufkommen zu lassen.
    Das kannte Holzwanger nur umgekehrt.
    Eigentlich war er Mediziner, Radiologe mit eigener kleiner Forschungsfirma, bis ihn ein deutscher Konzern umworben hatte,dessen Zündkerzen weltweit in jedem zweiten Auto steckten. Holzwanger sollte die Medizintechnik des Unternehmens neu ausrichten, doch dazu kam es nicht: Sechs Wochen nach Arbeitsantritt kassierte er bereits die erste Abmahnung. Der Betriebsrat nahm ihm seine Überstunden krumm, die sich angesichts der Lage aber gar nicht vermeiden ließen. Jahrelang hatten die Ingenieure des Konzerns fröhlich Krankenhaustechnologien entwickelt, ohne nur einmal einen Arzt zu fragen, was man überhaupt benötigte, geschweige denn, wofür man eine behördliche Zulassung erwirken könne. Holzwanger hatte alle Hände voll zu tun, den Entwicklungsabteilungen einen Crashkurs in Gesundheitsökonomie zu erteilen und zugleich Kontakte zu Kliniken und Universitäten zu knüpfen. Im gemächlichen Acht-Stunden-Takt, abzüglich Mittagessen und mehreren Kaffeepausen, ließ sich so etwas nicht bewerkstelligen.
    Als er beim Vorstand gegen die Abmahnung protestierte, erhielt er den Rat, sich im Marschtempo des Hauptfelds zu bewegen und nicht im Eilschritt einer Vorhut. Denn beim Zündkerzen-Primus gab es keine Vorhut mehr. Hatte es je eine gegeben, war sie während der hundertzwanzigjährigen Existenz des Konzerns so demotiviert worden, dass man sie nicht mehr vom Hauptfeld unterscheiden konnte.
    An jenem Tag blies Holzwanger die ohnehin schwierige Wohnungssuche im Großraum Stuttgart ab und signalisierte Pia, sie solle die Kinder keinesfalls von der heimischen Schule abmelden. Da sich seine eigene kleine Firma nicht mehr wiederbeleben ließ, saß er in der Falle. Wenn nichts passierte, musste er in der Angestelltenhölle weiterschmoren.
    Holzwanger bog mit dem grünen Sharan in die Mozartstraße ein. Joshi stand alleine vor dem Zaun des Kindergartens.
    So ein Mist!
    Er ärgerte sich über seine Verspätung, allerdings noch mehr über die Dreistigkeit der Erzieherinnen. Sie wussten genau, dass sie den Laden nicht dichtmachen durften, solange auch nur ein Kind übrig war – ganz gleich, ob sie damit ihre Arbeitszeit überzogen oder nicht.
    Da war sie wieder, die Überstunde! Die übelste Ungerechtigkeit, die einem deutschen Arbeitnehmer zustoßen konnte.
    Holzwanger fuhr rechts ran, sprang heraus und hob seinen Sohn in den Kindersitz.
    »Wo warst du?«, fragte Joshi.
    »In einer Welt, weit weg von hier. Einer Welt voller Geheimnisse und seltsamer Regeln.«
    »Bei Pittopän?«
    Holzwanger hatte lange
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