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Titel: Toggle
Autoren: Florian Felix Weyh
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  000 Euro besaß. Sie waren keine Spezialanfertigung. Möglicherweise hatte sein Arbeitgeber allerdings die Software überarbeitet. Deswegen reagierte er so nervös, als Purgler im Menü herumfingern wollte.
    Ansonsten entsprachen alle Maschinen den Beschreibungen, die man auch im Internet finden konnte. Im Wesentlichen – und das war genial! – hatten die österreichischen Erfinder das Glasplattenproblem gelöst. Purgler kannte es noch aus seiner Studentenzeit, als er Handlangerdienste in der Bibliothek verrichtet hatte: Wann immer man Laien Bücher zum Kopieren aushändigte, pressten sie diese mit brachialem Druck auf die Glasplatte des Kopiergeräts. Jedem Bibliothekar grauste es davor. Mit dem Siegeszug des privaten Scanners zu Hause waren die Leute nicht etwa sensibler geworden, sondern im Gegenteil noch achtloser. Tief in ihrem Inneren schienen sie zu glauben, dass man nur mit roher Gewalt das Beste beim Kopieren rausholen konnte.
    Anton Purgler rückte Die Seele noch einmal in der Scannerwiege zurecht.
    Doch die Bücher brachen. Je älter, desto schneller. Waren sie geklebt statt gebunden, zerfielen sie oft schon nach wenigen Kopiervorgängen. Lose Seiten flogen herum und gingen verloren. Die Österreicher hingegen waren auf eine pfiffige Idee gekommen. Bei ihnen wurde jedes Buch halb aufgeklappt auf dem Rücken in den Scanner eingelegt. Dann fuhr eine breite Düse zum Buchblock hinunter, saugte die Seite mit Druckluft an und tastete sie, sobald sie senkrecht stand, blitzschnell links und rechts mit einem Scannerkopf ab. Nach getaner Arbeit glitt die Düse ein Stückchen hoch, zwang die Seite durch einen Luftstoß zum Umblättern, senkte sich wieder herab, saugte eine neue Seite an und fraß erneut die Buchstaben in sich hinein. So blieben auch wertvolle Folianten unversehrt.
    Purgler drückte auf den Startknopf und sah auf die Uhr: Der Wechsel hatte genau 120 Sekunden gedauert. Das bescherte ihm vier Minuten Pause. Bei anderen Temperaturen hätte er sich eineZigarette angezündet, heute wäre ihm ein kaltes Bier lieber gewesen. Aber woher nehmen?
    Lustlos griff er sich ein Buch aus einer der unzähligen Kisten, setzte sich auf seinen Pausenhocker und blätterte darin herum.
    Wieder Seelenkram.
    Er legte das Buch zurück. Unmenschlich, diese Hitze!
    Ganz sicher war die Tür zugefallen.
    Plötzlich erklang ein lautes Hupen.
    Es kam von Nummer zwölf.
    Purgler rannte zur betreffenden Maschine. Ihre Düse berührte gerade noch die Kante der angesaugten Seite, doch der Scannerkopf konnte nicht an ihr heruntergleiten.
    Es war keine Seite.
    Es war ein Bündel von Seiten.
    Jemand hatte vergessen, das Buch bis zum Ende aufzuschneiden. Der letzte Bogen zeigte eine noch geschlossene Falz. Ein ärgerliches Phänomen des 18.   Jahrhunderts, als Bücher unaufgeschnitten über die Ladentheke gingen. Fand sich kein williger Leser, blieb das Buch zugeknöpft wie eine alte Jungfer, manchmal über Generationen hinweg. Für diesen Fall, so lauteten Anton Purglers Anweisungen, sollte er das Papier ohne Hemmungen auftrennen. »Lesbarkeit geht vor Jungfräulichkeit«, hatte der Mann mit seinem seltsamen Akzent meckernd gelacht.
    Purgler fluchte. Wenn er die Maschine nicht binnen einer Minute wieder in Gang brachte, geriet sein ganzes Scannerballett aus dem Takt. Fieberhaft überlegte er, wo er sein Tai Pan beim letzten Mal liegen gelassen hatte.
    Bei Nummer acht, vor drei Tagen!
    Er hechtete hinüber, fand den edlen zweischneidigen Dolch hinter der Tastatur, bekam ihn am falschen Ende zu fassen, konnte seinen Schwung jedoch nicht mehr bremsen, schnitt sich tief in die Handfläche hinein, ignorierte das Blut, obwohl er dessen Anblick normalerweise nicht ertrug, wirbelte das Messer in der Luft herum, griff nun richtig zu, hechtete zurück zur Nummer zwölf und riss mehr als er schnitt die Falz des Seitenbündels auf.
    Geschafft!
    Nummer zwölf begann wieder zu arbeiten.
    Füüüsch … püh … füüüsch … püh … füüüsch …
    »Bücher darf man aber nicht zerschneiden!«, sagte eine Stimme voller Empörung hinter ihm.
    Purgler fuhr herum.
    Vor ihm stand ein Mädchen.
    Anton Purgler dachte an die zwanzig Euro in der Stunde, an seine Bewährungsauflagen, an 250   000 Euro Konventionalstrafe, spürte den Dolchschaft in seiner Hand, noch mehr den aufwallenden Schmerz, und wurde von einer namenlosen Wut gepackt.
    Dann riss der Film.

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   Hamburg
Mittwoch, 7.   Juli, 15   :  
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