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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel
Autoren: Tina Sabalat
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anhaltenden Tropfen war nichts zu hören.
    »Na dann«, sagte Sam, und wir betraten die Wohnung. Er mit festen Schritten auf dem Weg zur Lösung all seiner Probleme, ich zögernd.
    Den Flur erkannte ich nicht wieder, denn er war schon fast gänzlich dunkel gewesen, als Sam hindurchgegangen war: In seiner Zukunft war es immer dämmeriger Abend gewesen, als er zum Sterben hierher gekommen war, jetzt war es Nachmittag. Ein Hochsommer-Nachmittag sogar, der in dieser Wohnung mit ihren schmutzblinden Fenstern jedoch trüb erschien. Es roch nach alten Zigarettenkippen und kaltem Rauch, schimmelndem Papier und schalem Bier. Zerquetschte Dosen säumten unseren Weg am Badezimmer und der Küche mit zerschlagenen Schränken hinein in den Raum, in den ich Sam und auch schon mich hatte niederfallen sehen: das ehemalige Wohnzimmer, leer bis auf ein ausgesessenes Sofa mit Brandlöchern.
    Sam musterte den Raum, ich sah seine Türkisaugen über dem karierten Stoff seines Schals hin und her wandern, als suche er nach irgendetwas. Oder nach irgendwem. Aber es gab nichts, die Wohnung war nicht die Antwort auf all diese Fragen, sie war nur der Ort, an dem alles sein Ende finden sollte.
    »Na dann«, sagte Sam wieder, als wären das die einzigen Wörter, die in dieser Situation benutzbar waren.
    Er zog sein Handy aus der Tasche, doch seine Finger drückten nicht die entscheidenden Tasten. Stattdessen sah er mich an, und eine Frage hing unausgesprochen im Raum: 'Soll ich wirklich?'
    Ich starrte zurück, brannte meinen Blick in seine klaren Augen und wand mich innerlich wie eine Schlange, um mich von einer Antwort fortzubiegen. Ich hatte oft genug Nein gesagt, ich hatte mich oft genug erboten, in ihm zu lesen, aus ihm die letzte, die aktuellste Variante unserer Zukunft herauszuholen. Bevor wir losgefahren waren, im Auto, dann eben erst, während der Suche nach einem Parkplatz. Was konnte ich jetzt noch tun? Ein Nein würde nichts bringen, es wäre nur ein weiteres Nein in einer ganzen Reihe schon vergeudeter. Sollte ich Sam das Handy aus der Hand schlagen, ihn dazu bringen, diese düstere, durchweichte Wohnung zu verlassen? Ja, das könnte ich, aber warum sollte ich? Ich konnte selbst gehen, einfach so. Aus der Tür, aus diesem Haus. Sam würde mich nicht aufhalten: Ich hatte die Waffe, sie steckte hinten in meinem Hosenbund und bohrte sich hart und mittlerweile körperwarm in meinen Rücken. Ja, mich konnte ich in Sicherheit bringen, vielleicht nicht für immer und ewig, aber für hier und heute. Und Menschen neigen dazu, hier und heute ihr kleines Leben zu retten, möge die Zukunft bringen, was sie wolle.
    Dass ich blieb, hing also nicht mit mir zusammen, sondern mit Sam. Mit seinem sauberen Magen, mit seinen Fragen nach allem und jedem. Ich hatte Sam gern, schrecklich gern. Ich liebte ihn nur vielleicht, aber was ich fühlte, war genug, um meine Entscheidung zu fällen.
    »Tu es nicht. Oder lass mich nachsehen, wie es ausgehen wird«, sagte ich, und ich hörte selbst, wie schwach meine Stimme klang. Als hätte ich all meine Kraft, meinen Mut, mein Selbstbewusstsein in meinem Haus vergessen.
    »Kein Wissen. Es kommt, wie es kommt.«
    »Du verurteilst uns zum Tode.«
    »Ich rette uns das Leben.«
    »Werden wir je einer Meinung sein?«, fragte ich und erblinzelte ein Lächeln rund um Sams Augen.
    »Nein. Aber das macht ja nichts«, antwortete er, und ich nickte dann doch. Nicht überzeugt, nicht bereit, aber ich nickte.
    »Ja«, sagte ich, »hol sie her. Es muss ein Ende haben.«
    Sam nickte, drückte die Tasten, und dann warteten wir schweigend, bis die Haustür aufgestoßen wurde und schnelle Schritte den Gang herunter kamen.
     
    ***
     
    Es war ein Mann. Der, der Tobias über meine Mauer und in meinen Pool bugsiert hatte? Vielleicht. Er wirkte dünner, als ich die Gestalt von dem Video in Erinnerung hatte. Das Gesicht war unter einer Skimaske verborgen, zeichnete sich hager und länglich darunter ab. Mausbraune Augen sahen aus den Schlitzen, zusammen mit einem Ansatz buschiger Brauen. Den Mund erahnte ich als schmallippig, das Kinn als fliehend. Nicht das Gesicht eines Mörders, weil es so alltäglich zu sein schien, aber vielleicht gerade deswegen das perfekte Gesicht für einen Mörder.
    Der Mann trat mit entschlossenen Schritten in das Zimmer, blieb aber unmittelbar hinter der Tür stehen. Mein Magen hatte bei jedem seiner Schritte gezuckt, die Angst lag darin wie ein Klumpen: schwer, schmerzhaft, schwarz. Sie lähmt mich nun
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