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Tödliches Orakel

Tödliches Orakel

Titel: Tödliches Orakel
Autoren: Tina Sabalat
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lauern. Diese Möglichkeit hatten wir noch nicht.«
    »Und wer ist die Nummer Drei?«, erkundigte ich mich, Sams Lächeln wurde breiter.
    »Dein Mr. Colt. Oder Mr. 9 Millimeter. Deine Knarre, halt«, präzisierte er, als ich angesichts dieser bemüht cool klingenden Bezeichnungen die Stirn gerunzelt hatte.
    »Du willst eine Waffe mitnehmen?«
    Ich war etwas fassungslos, und das hörte man meiner Stimme durchaus an.
    »Ja. Wir zeigen diesem Typen, dass nicht unbedingt wir die Opfer sein müssen. Dass wir wissen, was er vorhat. Dank dir. Und dass das nicht klappen wird.«
    »Und du glaubst, das wird funktionieren.«
    »Ich hoffe es.«
    Ich drehte mich zu ihm um, um aus diesem Glauben durch ein weiteres Abtauchen in seinen Magen Gewissheit zu machen, aber Sam stand blitzschnell auf und wandte mir seinen Rücken zu.
    »Nicht. Schau nicht nach, ob es klappt. Lass uns einfach fahren. Bitte.«
    »Ich verlasse dieses Haus nicht«, wiederholte ich etwas, was ich letzte Nacht schon einmal gesagt hatte, aber Sam ging gar nicht weiter darauf ein.
    »Du weißt, wo die Wohnung ist. Du kannst sie finden. Das kannst du doch, oder? Du hast gesehen, wie ich dort hinfahre. Und du hast mir doch sogar schon die Adresse vorgelesen, aus einer SMS!«
    »Ja, ich weiß, wo die Wohnung ist.«
    »Also: Ich fahre, du spielst Navi. Ganz einfach. Hier rechts, in dreihundert Metern links. Komm.«
    Er streckte eine Hand nach hinten, ich starrte auf seine kurz geschnittenen Fingernägel und fragte mich ganz ernsthaft, ob er jetzt komplett durchgedreht war.
    »Das ist Selbstmord.«
    »Quatsch!«
    Er klang aufgebracht, seine Stimme war plötzlich laut. Doch das machte sie nicht überzeugender, ließ ihn nicht entschlossener wirken: Eher verzweifelt darum bemüht, sich selbst Mut zu machen. Sich stärker zu machen.
    »Sam«, sagte ich nur, leise und eindringlich. »Das ist der wahnwitzigste Plan von allen. Und es gibt noch andere, die wir noch nicht durchexerziert haben. Die vielleicht einen Versuch wert wären.«
    »Vielleicht«, wiederholte er tonlos. »Vielleicht machen wir dies, vielleicht machen wir das. Vielleicht leben wir, vielleicht sterben wir.«
    Er seufzte.
    »Ich kann nicht mehr«, fuhr er dann fort, und seine Stimme klang, als wäre ihm das ernst. »Ich kann nicht mehr, und ich will nicht mehr. Mein Freund ist tot. Ich habe Angst. Um dich und um mich. Eine Scheißangst. Und ich will kein 'Was wäre wenn'. Ich will nicht hüpfen, weil die wollen, dass ich hüpfe. Ich will nicht nach deren Regeln spielen und nach einer Möglichkeit suchen, wie ich die so glücklich machen kann, dass sie mich nicht erschießen. Es ist mir scheißegal, was die wollen und ob sie am Ende dieses Tages glücklich sind. Und das werde ich denen jetzt sagen.«
    »Mit einer Waffe in der Hand.«
    »Ja.«
    »Und dann? Wenn du es ihnen gesagt hast?«
    »Dann fahren wir ins Reisebüro. Und buchen Flüge nach Japan.«
    Ich schüttelte den Kopf, was er nicht sehen konnte. Dann sah ich auf seine Hand, die auf mich wartete, und auf die Waffe, die schwarz und schwer auf dem Tisch lag. Und ich stellte fest, dass ich mich weder vor der Hand fürchtete noch vor der Waffe. Ich fürchtete mich vor dem Mann, dessen Gesicht stets im Dunkel geblieben war, ja – und davor, diese schützenden Mauern zu verlassen, die mich in den letzten Jahren so vortrefflich beschützt hatten.
    »Du weißt nicht, was du da von mir verlangst«, sagte ich. »Ich war seit Jahren nicht mehr … draußen. Ich kann das nicht. Ich verlasse das Haus nicht. Niemals.«
    »Du kannst entweder jetzt mitkommen und mir helfen«, sagte Sam, »oder du vertagst das Problem.«
    »Vertagen?«
    »Ja. Bis nach meinem Tod. Wenn du die Entscheidung treffen musst, ob du zu meiner Beerdigung gehst oder nicht.«

 
     
     
     
     
    Kassandra , Tochter des trojanischen Königs Priamos, war in der Lage, Unglücke vorauszusehen, fand aber niemals Gehör – so warnte sie etwa die Trojaner vor der List der Griechen und dem Trojanischen Pferd. Kassandra empfing ihre Zukunftsvisionen in Trance, galt deshalb als hysterisch und verrückt. Sie wurde beim Fall Trojas vergewaltigt, von Agamemnon als Sklavin nach Mykene verschleppt und dort von Agamemnons Frau Klytämnestra erdolcht – was Kassandra gewusst haben muss, da ihr auch die eigene Zukunft nicht verborgen blieb.

3. Buch
    Tag 10 – Mittwoch, 9. August
     
    Sam legte den Kopf in den Nacken und blickte an dem grauen Betonklotz hinauf. Ich tat es ihm nicht nach, denn ich wusste
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