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Toedlicher Staub

Toedlicher Staub

Titel: Toedlicher Staub
Autoren: Massimo Carlotto
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unerträglich, und diesmal wusste sie, dass sie nicht mit den Misshandlungen durch ein brutales Vieh davonkommen würde. Da konnte sie ebenso gut einen großen Abgang hinlegen. Unterm Kissen lag das Küchenmesser, das sie gegen Ghisu eingesetzt hatte. Irgendwie schlief sie besser, wenn es in Reichweite war. Sie packte es und stach blindlings ins Dunkle. Die Söldner reagierten mit einer Feuergarbe.
    »Verfluchte Schlampe«, zischte Franchino. »Um ein Haar hätte sie mich voll am Bauch erwischt.«
    Doch das hörte Nina schon nicht mehr.
    Ein paar Stunden lang suchten die Söldner die Umgebung nach Pierre ab. Vergeblich. Er hatte eine Abkürzung durch die Felder genommen und war über alle Berge.
    »Der wird dich gesehen haben, als du zur Erkundung hier warst«, meinte Franchino heimtückisch.
    »Versuch’s gar nicht erst mit so einer Scheiße«, drohte Luca. »Der hatte ganz sicher geplant abzuhauen.«
    »Dann haben wir hier nichts mehr verloren. Die Sonne steht schon hoch, nicht, dass wir bemerkt werden.«
    Der Neapolitaner nickte wenig erfreut. Beruflicher Misserfolg gefiel ihm gar nicht, die Leute zerreißen sich nur das Maul darüber, und der Marktwert leidet.
    Während Luca fuhr, warf Franchino Teile der Pistolen aus dem Fenster. Die letzte Patrone landete auf dem frischgemähten Gras entlang der Straße zum Flughafen.

    Auch Sebastiano Trincas wunderte sich, dass er Pierre Nazzari nicht vorfand. Er war darauf gefasst, zwei Leichen beerdigen zu müssen, doch war es nur Nina, Gesicht und Brust von den Schüssen entstellt. Es erleichterte ihn kein bisschen, dass sein früherer Barkeeper sich hatte retten können: Er war Zeuge seines Verrats, und möglicherweise tauchte er eines Tages aus dem Nichts auf, um ihm die Rechnung zu präsentieren. Er konnte sich einfach keine weitere Sache mehr leisten, vor der er Angst haben musste, jetzt, da er alle Selbstachtung verloren hatte. Nicht so sehr, weil er durch Ninas Tod das Leben seiner Frau gerettet hatte, sondern angesichts der Perspektive, sein Leben lang Tore Moi in den Arsch kriechen zu müssen.
    Er betrachtete die Fliegen, die über Ninas geronnenem Blut kreisten, und dachte, er hätte sich einen besseren Ausgang für sie alle gewünscht. Das war seine Art, sich von ihr zu verabschieden. Er fühlte sich beschissen, als er den Graben erweiterte, den er für Ghisu und dessen Handlanger Angelo ausgehoben hatte. Ein Totengräber, das war er geworden. Wahrscheinlich hätte er versuchen sollen, die Leichen woanders loszuwerden, es war ja weder sicher noch besonders klug, sie hierzulassen, auf einem Grundstück, über das er »die Verfügungsgewalt« hatte, wie die Bullen sagen würden. Er legte die Hände auf dem Spatengriff übereinander, stützte sich mit dem Kinn darauf ab und blinzelte zum x-ten Mal zum Haus hinüber. Er hatte noch nicht den Mut gefunden, den verfluchten Schrank aufzumachen und nachzusehen, ob die Tasche mit dem Geld und dem Koks noch an Ort und Stelle war. Falls nicht, würde sein Leben noch einmal sehr viel düsterer aussehen. Andererseits, warum sollte sie dort sein? Pierre hatte zugesehen, als er sie in dem alten Schrank verstaute, und Pierre war mit Sicherheit nicht mit leeren Händen gegangen. Vielleicht hatten sich auch die beiden Besucher umgesehen und festgestellt, dass das Töten sich an diesem Tag besonders gelohnt hatte.
    Er verharrte fast eine Viertelstunde. Er konnte sich nicht dazu durchringen. Noch vor zwei Tagen wäre er instinktiv sofort losgerannt, um nachzuschauen. Doch jetzt war alles anders. Er fürchtete, das Glück eines ganzen Lebens aufgebraucht zu haben.
    Er hob das Kinn, löste die Hände vom Spaten und ging auf das Haus zu. Erst langsam, dann immer schneller. Das Geld war weg, verdammte Scheiße, aber das Koks, verdammte Scheiße, das war noch da. Alles. Sebastiano umarmte die Tasche. Vielleicht war nicht alles verloren.

    Marios Witwe hieß Lisa, und im Gegensatz zu ihrem Mann war sie nicht dumm. Das war sie nie gewesen. Sie hatte immer gewusst, dass ihr Mann kein Genie war, aber sie hatte ihn geliebt und respektiert, wie sie es von ihrer Mutter, den Großmüttern und Tanten gelernt hatte. Das verdiente er. Er war immer liebevoll gewesen und hatte es ihr an nichts fehlen lassen. Nicht einmal an Vertraulichkeiten. Sie hatte ihrem Mann seit Jahren die Beichte abgenommen und ihm die Absolution erteilt, und so konnte sie mit Fug und Recht behaupten, Tore Moi sehr gut zu kennen. Sie würde die Rolle der Witwe des Idioten
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