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Toedlicher Staub

Toedlicher Staub

Titel: Toedlicher Staub
Autoren: Massimo Carlotto
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Tageszeit am Straßenrand angehalten und den Moment abgepasst, in dem »die Sonne in die Heia« geht, wie ihre Mutter es immer gesagt hatte, als Nina klein war. Sie ärgerte sich, dass Sebastiano nicht kam, um sie abzuholen. Am nächsten Tag würde sie weggehen, mit dem Bus nach Villaputzu fahren, die Koffer packen, das Haus dem Vermieter übergeben und dann in Cagliari ihren Geländewagen mit dem Ersatzschlüssel abholen, da das erste Schlüsselbund bei dem Brand verlorengegangen war. Später weiter nach Norden bis Porto Torres. Dort wollte sie die Fähre nach Genua nehmen. Und schließlich über die Autobahn nach Belgien. Sie wollte mit dem Auto ankommen. Fahren machte ihr Spaß und half beim Nachdenken. Vielleicht war es etwas riskant, ohne Trincas’ Einwilligung von hier zu verschwinden, aber sie war überzeugt, dass ihr keine Gefahr drohte. Immerhin war sie in dem Ganzen nur eine Nebenfigur. Wenn sie Sardinien erst einmal hinter sich gelassen hatte, würden alle diese Maria Antonietta Tola, genannt Nina, bald vergessen.
    Pierre nutzte ihre Abwesenheit, um das Geld aus Sebastianos Tasche zu holen und unter seinem Kissen zu verstecken. Er würde sich heute Nacht aus dem Staub machen. Mit dem ersten Postbus nach Palau und dann auf die Fähre nach Korsika. Einen weiteren Tag darauf würde er in Marseille eintreffen und als Erstes einen Zahnarzt aufsuchen. Er ging in die Küche und setzte ein paar Nudeln fürs Abendessen auf. Gern hätte er Nina eingeladen, auch, um ihr irgendwie auf Wiedersehen zu sagen, aber das brachte er nicht fertig. Wiedersehen würde er sie ohnedies nicht.
    Morgen beginnt ein neues Leben, dachte Pierre.
    Morgen geht’s nach Norden, dachte Nina.

    Tore Moi verlor nicht gern Zeit. Er verpflichtete Anna Paola, Marios Witwe zu besuchen und ihr auch etwas zu essen mitzunehmen, während er selbst ins Büro zurückkehrte. Dort war er mit einem jungen Mann verabredet, der Mario ersetzen sollte – als Fahrer und als Mädchen für alles, ganz sicher nicht als Partner. Diesen Fehler würde er nicht noch einmal begehen. Er hieß Filippo Enna und war gegenwärtig arbeitslos, nachdem er seinen Job als Wachmann in Turin hingeschmissen hatte und nach Cagliari zurückgekehrt war, um seinem krebskranken Vater beizustehen. Tore hätte unter den ehemaligen Mitarbeitern der Ordnungskräfte Leute mit besseren Referenzen finden können, ihm war allerdings klar geworden, dass die Privatwirtschaft nicht mehr so viel im Staatsdienst ausgebildetes Personal beschäftigen sollte. Das waren zwei allzu verschiedene Sicherheitskonzepte, und es konnte kontraproduktiv sein, die Perspektiven zu vermischen.
    Der Junge kam pünktlich, sein Händedruck war überzeugend. Erst bat er ihn, Platz zu nehmen, dann eröffnete er ihm, dass sein äußerst akkurat geschnittener Goatee ihm missfiel. »Sieht zu sehr nach Carabiniere aus«, meinte er.
    »Kein Problem«, sagte Filippo. »Wenn die Bezahlung stimmt, färbe ich mir die Haare meinetwegen rosa.«
    Moi grinste. Der Junge gefiel ihm. »Wie ist es dir in Turin ergangen?«
    »Ganz gut.«
    »Ich denke, es ist dir schlecht gegangen«, entgegnete Tore. »Nachts mit dem Auto herumfahren, um nach den Geschäften anderer zu schauen, das ist doch kein Leben.«
    »Nein, das stimmt«, gab Filippo zu.
    »Gefällt dir dieses Büro?«
    »Es ist toll.«
    »Was meinst du, wovon hab ich das bezahlt?«
    »Ich glaube, darauf komme ich nie.«
    »Weil du ein Anfänger bist. All das kostet ein Vermögen.« Moi rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. »Und ich habe es in klingender Münze bezahlt. Verstehst du, was das bedeutet?«
    »Ja.«
    »Ich glaube kaum, aber ich weiß den Versuch zu schätzen. Wie viel hast du in Turin verdient?«
    »Rund tausend.«
    »Ich biete dir hundert Euro mehr. Probezeit drei Monate. Bist du dabei?«
    »Klar.«
    »Morgen früh muss ich zu einer Beerdigung. Hol mich um Viertel vor neun ab.«

    Vom Navigationsgerät geleitet, gelangte Luca in die Nähe des Hauses, in dem Nina und Pierre sich versteckten. Seiner Berechnung nach konnte er nur noch fünfhundert Meter entfernt sein und zog es vor, den Rest zu Fuß zurückzulegen, nachdem er den Wagen hinter einer Ruine geparkt hatte. Ein paar ferne Hunde schlugen an, aber niemand würde darauf reagieren.
    »Sie riechen den Wolf und haben Angst«, dachte der Söldner.
    Er hatte gelernt, sich im Dunkeln lautlos zu bewegen, und gelangte zu einem Fenster, hinter dem er Nina beim Essen sah. Durchs Badezimmerfenster beobachtete er
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