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Toedlicher Staub

Toedlicher Staub

Titel: Toedlicher Staub
Autoren: Massimo Carlotto
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hinzustellen, falls es mal Scheiße regnen und es nötig werden würde, den Inhaber des Ladens nicht damit zu belasten. Die Entscheidung für Mario war nicht zufällig gewesen. Tore hatte lange genug bei der Polizei gearbeitet, um den idealen Untergebenen zu erkennen, die ausführende Hand ohne jede eigene Initiative, unfähig zu einer komplexen Sicht auf die Dinge. Dass Mario mit Trincas so einen Mist gebaut hatte, war ganz allein seine, Tores Schuld, das war ihm nur zu klar. Er hätte wissen müssen, dass der Moment gekommen war, ihm einen Bonus zukommen zu lassen – oder wenigstens so zu tun. Mittel und Wege dazu gab es genug, doch er hatte es immer wieder verschoben, und jetzt war ihm die Situation entglitten, und er würde die Notbremse ziehen müssen. Zum Glück war sein Gegner kein Profi. Sebastiano kam sich wer weiß wie schlau vor, aber in Sachen Erpressung war er ein blutiger Anfänger. Er fühlte sich auf der sicheren Seite und schon als Sieger, das wusste Tore, und auch, dass dies der größte Fehler war, den Trincas begehen konnte. Eine Erpressung ist erst dann geglückt, wenn man tatsächlich kassiert hat. Bis dahin muss man dem Gegner misstrauen und ihn noch mehr fürchten als zuvor.

    Sebastiano Trincas war seelenruhig. Wie erstaunlich, dass es ihm gelungen war, ein Durcheinander zu regeln, aus dem er gefürchtet hatte, nie wieder herauszukommen. Aus Angst, sich irgendwo verrechnet oder einen Aspekt unberücksichtigt gelassen zu haben, hatte er jedes Detail mehrmals überdacht, aber die Antwort war immer dieselbe gewesen: Er hatte Tore Moi am Arsch gekriegt. Und da fand Sebastiano, dass es nun an der Zeit war, zum Alltag zurückzukehren und sich seinem Geschäft zuzuwenden. Die neue Bar besetzte seine Gedanken schon vollständig. Dennoch ertappte er sich häufig bei dem Gedanken an den Doppelmord, den er begangen hatte. Egal, wie oft er sich auch sagte, er habe keine andere Wahl gehabt, es vertrieb nicht die Abfolge jener blutigen Bilder vor seinem inneren Auge, das Zucken, die im Sterben verzerrten Gesichter. Dass er sich auch noch um die Leichen hatte kümmern müssen, hatte die Erinnerung endgültig festgebrannt, da war er sicher. Abdrücken und weitergehen, das ist eine Sache, aber eine andere war es, leblose, schwere und blutverschmierte Leiber zu bewegen.
    »Mörder sollten nie die Totengräber ihrer Opfer sein müssen«, so versuchte er, Herr über die konfusen Gedanken zu werden, die ihn bestürmten. Reine Weisheit. Er hätte sich gerne mit jemandem ausgesprochen, vielleicht mit Gloria. Das würde ihm sicher helfen. Trotzdem würden diese Bilder für immer in seinem Gedächtnis begraben sein – wie die beiden Toten im Garten bei dem Häuschen in Simbirizzi.

    Sein Optimismus hatte auch Pierre und Nina angesteckt. Der Deserteur versuchte, wieder fit zu werden, und zwang sich zu essen, obwohl die eingeschlagenen Zähne wehtaten. Er hatte einen Beschluss gefasst: fliehen, sobald es ging, mit dem Geld, das Sebastiano in dem alten Schrank versteckt hatte. Das Koks wollte er ihm lassen; es war eine beträchtliche Menge und viel nützlicher als dieselbe Summe in Scheinen. Trincas musste nur eine Bar neu aufbauen, er hingegen sein ganzes Leben, und diese Tatsache genügte, um ihm Frieden mit dem Rest an Gewissen zu verschaffen, der noch übrig war. Trincas hatte ihm zwar das Leben gerettet, doch ohne das Geld würde Pierre recht schnell im Knast landen. Das größte Risiko war, dass Trincas irgendwann ankam und die Tasche mitnahm. Dem musste er unbedingt zuvorkommen, und darum hatte er entschieden, am nächsten Morgen früh vor Tagesanbruch abzuhauen. Zum x-ten Mal betete er in Gedanken die Details seiner neuen Identität herunter.

    Auch Nina hatte wichtige Beschlüsse gefasst. Sie wollte nach Belgien zurück und dort ihren Freundinnen alles erzählen. So würde sie sie verlieren und auch ihren Posten als Forscherin. Dann musste sie jemanden finden, der ihr dabei half, das Geschehene zu verarbeiten. Selber würde sie das nicht mehr schaffen. Sie sehnte sich nach Wärme, nach Geborgenheit. Sie sah ein großes, warmes Haus vor sich, mit bunten Stoffen eingerichtet, gedämpfte Lichter, wo ihr Schutz gewährt würde. Die Zornanfälle, die Gewalt, zu der sie selbst imstande gewesen war, erschreckten sie, ebenso wie der Hass, den sie auf diese grässlichen Männer empfand, vor allem auf Pierre. Würde sie jemals wieder einen Mann lieben können? Nicht unter diesen Lebensumständen, da musste sie erst
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