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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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Teil I:
Planung
1
    Samstag, 23. Juli
    2.26 Uhr, Szent-Kodály-Krankenhaus
    Lázlo starrte auf seine Finger: bleich und geschwollen. Seine
Handgelenke lagen eingepackt in Verbandszeug. Der Rest von ihm ruhte in einem Bett,
das er nicht kannte.
    Sein Kopf war eine gesplitterte Eierschale und in seinem Magen
schwappte es wie die Donau bei Hochwasser. Lázlos Augen blinzelten müde durch den
Raum: schummrige Dunkelheit, nur eine rötlich matte Glühbirne. Vier andere Betten
mit liegenden Gestalten. Leises Wimmern und Keuchen, ein piepsender Monitor und dann
der Geruch, eine Mischung aus Schweiß, Angst und Medikamenten. Klinisch, steril,
eben ein Krankenhaus. Ich will hier raus, dachte Lázlo. Mühsam hob er seine Arme und
führte die Hände vor sein Gesicht. Kein Blut an den Verbänden, sauber verschnürt
seine Handgelenke. Durch die Fensterscheiben drängte sich die Nacht: Verkehrslärm
und Neonlicht, das Grölen von Betrunkenen, ein Gettoblaster. Budapest schlief nie.
Budapest, die große Metropole an der Donau, Hauptstadt der Republik Ungarn. Seine
Heimat. Lázlos Stadt.
    Trotz allem.
    Erschöpft schüttelte er sich. Mit den Kopfschmerzen kamen die
Erinnerungen, hämmerten an seine Schädelwand. Lázlos sanfter Abgang: heißes Wasser
in der Badewanne, viel Seifenschaum, viel, viel mehr Alkohol, dann sich noch einen
runterholen – ein letztes Mal. Und schließlich die Rasierklinge zwischen seinen
zitternden Fingern. Das Wasser so heiß, dass Lázlo den Schnitt durch die Haut kaum
spürte. Sieht aus, hatte er gedacht, wie ein Stift, der eine rote Linie über das
Handgelenk zieht. Erst auf der einen Seite, dann auf der anderen. Ein bisschen
brannte es dann doch. Tat weh. Die Rasierklinge, er brauchte sie erst seit einem
halben Jahr. Lange hatte er darauf gewartet, dass sein bisschen Flaum auf Wange und
Kinn zu echten Bartstoppeln wurde. Lázlo hatte sich auf das Rasieren gefreut, hatte
sich gesehnt nach diesem Ritual des Erwachsenseins. Und wozu? Schwachsinn, Lüge,
Selbstbetrug. Nichts war besser geworden und nur die Klinge verhieß eine Lösung.
Aber, hatte er das wirklich getan? Vielleicht war ja alles nur ein bescheuerter
Traum. Obwohl sich dieses dämmrig-muffige Krankenhaus ziemlich echt anfühlte. Kein
Traum. Keine Vision.
    Ein grollendes, leises Stöhnen kam aus seiner Kehle, verwandelte sich
in ein hysterisches Kichern. Budapests neuester Selbstmordversuch. Von einem
16-Jährigen. Haha. Wie lächerlich das doch war. Und alles schmerzte auch seine Kehle
war wund. Sein Kopf hämmerte. Er schloss die Augen, wollte nichts sehen, nichts
hören. Sondern wegdriften in den Schlaf. Aber der Schlaf kam nicht. Sondern ein
anderer Gast.
    »Lázlo … Mein Gott!«
    Seine Mutter.
    »Wo kommst du her?«, krächzte er.
    »Ich … sitze die ganze Nacht hier. Was glaubst du denn?«
    »Nichts.« Mühsam drehte er seinen Kopf, seine Kopfschmerzen. Sie
kauerte neben ihm, an die Wand gelehnt, ein gebücktes Gespenst. Er hatte sie
übersehen, so wie die ganze Welt sie übersah. Lázlos Mutter, seine Mama * , beugte sich jetzt über ihn. Sie versuchte ihn zu umarmen, doch er zuckte
zurück. »Lass mich in Ruhe!«
    »Aber Junge, ich …«
    Viel zu nahe war ihr Kopf: Mamas verhärmtes Gesicht, die bitteren
Fältchen um ihre Lippen, von Tränen verschmierte Wimperntusche und bröckelndes
Make-up.
    »Bitte«, flüsterte Lázlo.
    Seine Mutter erstarrte und er konnte ihr Schlucken hören in dieser
dämmrigen, unechten Nacht. Sie schluckte Angst und Verzweiflung und vielleicht Zorn.
Wandte sich von ihm ab. Und aus ihrem Schlucken wurde ein Schluchzen. »Warum?«,
fragte sie.
    Lázlo antwortete nicht. Die Bettdecke auf seiner Brust schnürte ihn
ein, das stickige Krankenhauszimmer schien kleiner und enger zu werden. Nur das
leise Rauschen von draußen, das Flüstern von Budapest bei Nacht, spendete Trost.
    Wenigstens ein bisschen.
    »Hau ab«, sagte er.
    Seine Mutter, Krähenfüße um die Augen, erste graue Strähnen im Haar,
starrte ihn an. Er konnte ihren Gesichtsausdruck im Halbdunkel nicht lesen, aber
ahnen. Es tut mir leid, wollte Lázlo sagen. Aber er konnte nicht.
    »Hast du«, fragte er stattdessen, »mich … gefunden?«
    »Ja.« Ihre Stimme ein Gespensterhauch. »Mein Gott, Lázlo, ich …« Ein
Gespenst voller Qual und Verzweiflung.
    Lázlo ballte die Fäuste. »Verschwinde«, keuchte er. »Ich … will allein
sein!«
    Lange schauten sie sich an, Mutter und Sohn, dann gab Lázlo nach.
Senkte die Augen und fixierte seine im
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