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Diabolos (German Edition)

Diabolos (German Edition)

Titel: Diabolos (German Edition)
Autoren: torsten scheib , Herbert Blaser
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Eine kurze Geschichte über den Tod und den Untod
    Vincent Voss

    Ich werde gleich meinen Mann und meine Tochter töten …

    Ich werde gleich meinen Mann und meine Tochter töten …

    Ich habe diesen Gedanken mehrmals durchgespielt und er steht wie in Stein gemeißelt, auch wenn mich die sich wiederholenden Worte in meinem Kopf verängstigen. Wie ein Mantra zitiere ich sie und greife nach meinem Haustürschlüssel in der Hosentasche. Meine Tochter ist fünf Jahre alt. Lisa. Letzten Monat hat sie eine Brille bekommen. Karsten ist mein Mann, er … wir wollten noch ein zweites Kind. Ich führe den Schlüssel ins Schloss, drehe ihn um, drücke langsam mit der linken Hand die Klinke herunter. Mit der rechten Hand hebe ich die Axt, zum Schlag bereit.

    Für alles, was ich tun werde, gibt es einen Grund, und es sind zweierlei Dinge, die dazu erklärt werden müssen. Sicherlich ist da zum einen meine Einstellung zum Tod; und zum anderen, wie sich die Umstände so entwickelt haben. Beides will ich erzählen …

    Meine Einstellung zum Tod ist eine Mischung aus Furcht und Faszination zu gleichen Teilen. Ja, ich habe Angst vor dem Tod. Ja, ich will nicht sterben. Andrerseits habe ich beruflich mit dem Sensenmann zu tun. Ich bin Autorin zweier Sachbücher über den Tod und arbeite als selbstständige Bestatterin in einem alternativen Bestattungsinstitut in Hamburg. Und meine Erstkontakte mit dem Tod – oder mit Toten – waren für diese Entwicklung prägend.

    Ich erinnere mich zuallererst an einen Sommer in meiner Kindheit kurz nach unserem Umzug. Den Garten durfte ich nicht verlassen, hatte Papa gesagt. Ich turnte auf dem Holzzaun herum und sah an der kaum befahrenen Straße einen Frosch am Rande sitzen. Ich bewarf ihn mit Stöckern und Steinen, verfehlte ihn aber immer knapp. Schließlich überwog meine Neugier, ich setzte über den Zaun und lief zu dem Frosch, der, selbst als ich mich über ihn beugte, gelassen hocken blieb. Ich griff ihn schnell, hob ihn hoch, um ihn zu begutachten und wunderte mich über die hinunterfallenden kleinen Teile, die aus meiner Hand rieselten und jene kleinen Teile, die sich dort wanden, wo der Frosch gesessen hatte: es waren Maden. Ich besah den Frosch in meiner Hand, den aufgerissenen Bauch und die kleinen, weißen Dinger, die aus ihm hervorgekrochen kamen. Ohne zu wissen, was für eine Entdeckung ich da gemacht hatte, ekelte ich mich so sehr, dass ich den Frosch wegwarf und schreiend ins Haus lief.

    Dieses Bild, ich will nicht sagen, es verfolgt mich, doch in Ansätzen ist es sicher so, jedenfalls erinnere ich mich immer dann daran, wenn ich mit stark verwesten Verstorbenen arbeite. Jene, die wir über die Rechtsmedizin bekommen, jene, die erst Tage nach ihrem Ableben aufgefunden wurden. Immer dann hoffe ich beim Waschen, Ankleiden und Herrichten, keine unliebsame Entdeckung machen zu müssen. Tote Hüllen sind fragil und bergen neues Leben in sich, denke ich dann und versuche mich mit diesem Kreislaufgedanken zu beruhigen. Dennoch obsiegen die Furcht und der Ekel, die mich in meiner Arbeit stets begleiten, und ich fürchte, erneut könnten diese kleinen, weißen Maden hervorbrechen.

    Mein zweiter Kontakt mit dem Tod wurde konkreter auf der einen und verschwommener – vielleicht auch tiefgründiger – auf der anderen Seite.
    Wieder war es ein Sommer und ich war im Freibad schwimmen. Das erste Jahr, in welchem ich alleine mit dem Rad zum Freibad durfte. Ich war 13 Jahre alt.
    Ich erinnere mich an das Lied ›Forever Young‹ von der Band Alphaville, bei dem ich, wenn ich den Refrain mitsang, heulen musste. Ich erinnere mich an die Kioskbude, wo es für eine Mark ein Würstchen und für 30 Pfennige ein Toastbrot mit Gewürzketchup gab. Ich erinnere mich an einen großen, dunkelhaarigen Jungen, in den ich mich verliebt hatte.
    An diesem Tag schwamm ich unter den Badesteg, der wie ein großes ›T‹ in den See hinausragte. Durch die Ritzen der Holzbohlen fiel Sonnenlicht und brach sich glitzernd auf der Oberfläche. Ich tauchte unter dem Steg durch in den Schwimmerbereich, jenen Jungen ausspionierend, in den ich verliebt war. Gelangweilt hielt ich mich an einer Leiter des Stegs fest, strich mir die Haare aus dem Gesicht und bemühte mich, möglichst unauffällig, attraktiv und lässig zu wirken.
    Aus den Augenwinkeln bemerkte ich eine Gestalt oben auf dem Badesteg. Ich blinzelte, weil ich eine Sinnestäuschung wähnte, doch tatsächlich stand dort ein dunkelhäutiger Jugendlicher oder
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