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Tödliche Therapie

Tödliche Therapie

Titel: Tödliche Therapie
Autoren: Sara Paretzky
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nicht laut herauszuschreien. Meine Freundin mit dem Doppelkinn
beobachtete mich heimlich, während sie Papier hin und her schob. Als Carol
wieder ans Telefon kam, hatte ich mich einigermaßen beruhigt und konnte mich
auf das konzentrieren, was sie sagte.
    „Es gibt ein Krankenhaus gleich in der Nähe namens
Friendship V. Dr. Hatcher vom Beth Israel sagt, daß sie eine voll ausgestattete
Frühgeborenenstation haben. Bring sie dorthin. Wir schicken Malcolm Tregiere
hinaus, für den Fall, daß sie Hilfe brauchen. Ich versuch, Mama zu erreichen,
die Praxis zu schließen und so schnell wie möglich auch rauszukommen.“
    Malcolm Tregiere war Lottys Partner. Vor einem Jahr
hatte Lotty widerstrebend zugestimmt, wieder halbtags in der Entbindungsstation
des Beth Israel zu arbeiten, in der sie berühmt geworden war. Deswegen hatte
sie sich für ihre eigene Praxis einen Partner gesucht. Malcolm Tregiere,
hochqualifizierter Gynäkologe, hatte gerade seinen Facharzt in perinataler Medizin
gemacht. Er teilte ihre medizinischen Ansichten und konnte wie sie sehr gut mit
Menschen umgehen.
    Ich fühlte mich unglaublich erleichtert, als ich
auflegte und mich zu Doppelkinn umdrehte. Ja, sie wußte, wo Friendship war -
Canary and Bidwell schickten alle ihre Unfälle dorthin. Zwei Meilen die Straße
entlang, ein paarmal abbiegen, man konnte es nicht verfehlen.
    „Können Sie dort anrufen und uns ankündigen? Sagen
Sie, daß es sich um ein junges Mädchen handelt - zuckerkrank - mit Wehen.“
    Jetzt, da ihr der Ernst der Lage aufgegangen war,
half sie bereitwillig und rief sofort an. Ich lief zurück zu Consuelo, die
unter einem Baum lag und schwer atmete. Ihre Haut war eiskalt und schweißnaß.
Sie machte die Augen nicht auf und murmelte irgendwas auf spanisch. Ich
verstand nicht, was sie sagte, nur, daß sie glaubte, mit ihrer Mutter zu reden.
    „Ja, ich bin da, Kindchen. Du bist nicht allein.
Wir werden das schon durchstehen. Komm, halt durch, mein Schatz, halt durch.“
    Ich versuchte, sie aufzurichten. Es kostete mich
soviel Kraft, und mein Herz schlug so rasend schnell, daß ich glaubte, ich
würde ersticken. „Halt dich fest, Consuelo, halt dich fest.“
    Irgendwie brachte ich sie auf die Füße. Sie halb
tragend, halb stützend schleppte ich uns die knapp hundert Meter zum Auto.
Ständig fürchtete ich, sie würde ohnmächtig werden. Ich glaube, sie wurde
bewußtlos, kaum daß sie im Wagen war. Ich konzentrierte meine ganze Energie
darauf, den richtigen Weg zu finden. Die Straße, die wir gekommen waren, weiter
entlang, zweite Querstraße links, nächste rechts. Das Krankenhaus, flach wie
ein gigantischer Seestern, lag vor mir. Ich fuhr gegen den Randstein neben der
Notaufnahme. Doppelkinn hatte ganze Arbeit geleistet. Bis ich aus dem Auto
gestiegen war, hatten geübte Hände Consuelo bereits aus dem Wagen und auf eine
fahrbare Bahre gehoben.
    „Sie hat Zucker“, erklärte ich. „Schwangerschaft in
der achtundzwanzigsten Woche. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Ihre Ärztin in
Chicago schickt jemand, der den Fall kennt.“
    Stahltüren öffneten sich automatisch; die Pfleger
rasten einen Korridor entlang. Ich ging langsam hinterher, sah ihnen nach, bis
sie der lange Flur verschluckt hatte. Wenn Consuelo durchhielt, bis Malcolm
eintraf, käme alles in Ordnung.
    Das sagte ich mir ständig vor, als ich in der
Richtung weiterging, in die Consuelo verschwunden war. Endlich kam ich zu
einem Schwesternzimmer. Zwei junge Schwestern mit steifen Hauben auf dem Kopf
unterhielten sich leise und angeregt.
    „Entschuldigen Sie, mein Name ist V. I. Warshawski
- ich bin mit dem Notfall vor ein paar Minuten gekommen - ein schwangeres
Mädchen. Mit wem kann ich darüber sprechen?“
    Eine der jungen Frauen sagte, sie müsse mal bei
„Nummer 108“ nachsehen. Die andere griff an ihre Haube, um sich zu vergewissern,
daß ihre professionelle Identität intakt war, und setzte dann ihr bestes
Krankenhauslächeln auf - nichtssagend, aber bevormundend.
    „Ich fürchte, bislang liegen noch keine
Informationen über sie vor. Sind Sie ihre Mutter?“
    Mutter? dachte ich, einen Augenblick lang wütend.
Aber in den Augen dieser jungen Frauen konnte ich vermutlich schon Großmutter
sein. „Nein. Ich bin eine Freundin der Familie. Ihr Arzt wird in ungefähr einer
Stunde hier sein. Malcolm Tregiere, er arbeitet mit Lotty Herschel. Vielleicht
wollen Sie den Leuten in der Notaufnahme Bescheid sagen?“ Ich fragte mich, ob
man die weltberühmte Lotty in
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