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Tödliche Therapie

Tödliche Therapie

Titel: Tödliche Therapie
Autoren: Sara Paretzky
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erfolgreiche Arzt
braucht; allerdings ohne die übliche Arroganz, die normalerweise mit
dazugehörte.
    „Ich bin froh, daß du hier bist, Vic. Kannst du den
Wagen für mich parken? Ich geh sofort rein.“
    „Der Arzt heißt Burgoyne. Geh den Korridor
geradeaus hinunter, bis du auf ein Schwesternzimmer stößt. Dort wird man dir
sagen, wohin du mußt.“
    Er nickte und machte sich auf den Weg. Während ich
sein Auto neben meinem parkte, stand Mrs. Alvarado wartend da. Als ich wieder
bei ihr war, musterte sie mich mit einem teilnahmslosen Blick aus ihren
schwarzen Augen, der nahezu verächtlich wirkte. Ich wollte ihr irgend etwas,
alles über Consuelo sagen, aber ihr bleiernes Schweigen verschloß mir den
Mund. Wortlos ging ich neben ihr den Korridor hinunter in den abstoßend
sterilen Warteraum. Die gelbe MealService Uniform spannte um ihre fülligen
Hüften. Lange Zeit saß sie da, die Hände im Schoß gefaltet, die schwarzen Augen
ausdruckslos.
    Aber nach einer Weile brach es ihr heraus. „Was
habe ich bloß falsch gemacht, Victoria? Ich wollte immer nur das Beste für das
Kind. War das ein Fehler?“
    Eine Frage, auf die es keine Antwort gibt. „Die
Menschen treffen ihre eigenen Entscheidungen“, sagte ich hilflos. „Für unsere
Mütter bleiben wir immer die kleinen Mädchen, aber irgendwann sind wir
erwachsen.“ Ich wollte ihr sagen, daß sie ihr Bestes getan hatte, trotzdem
hatte Consuelo es nicht immer zum besten gereicht. Aber selbst wenn sie das
hätte hören wollen, so war es jetzt nicht der richtige Augenblick dafür, es
ihr zu sagen.
    „Und warum ausgerechnet dieser entsetzliche Kerl?“
jammerte sie. „Bei jedem anderen hätte ich es verstanden. So hübsch und
gescheit wie sie ist, hätte sie sich wirklich einen besseren aussuchen können.
Aber ausgerechnet dieser - dieser Haufen Dreck mußte es sein. Keine
Schulbildung. Keine Arbeit. Gratias
adios - daß ihr Vater das nicht mehr
miterleben muß.“
    Ich war mir sicher, daß Consuelo sich diese
Vorwürfe oft genug hatte anhören müssen - „Dein Vater würde sich im Grab
umdrehen“; „Wenn er nicht schon tot wäre, würde ihn das umbringen“ - ich
kannte die ganze Litanei. Arme Consuelo, was für eine Last. Alles, was ich hätte
sagen können, wäre für Mrs. Alvarado kein Trost gewesen.
    „Kennst du diesen Schwarzen, diesen Arzt?“ fragte
sie plötzlich. „Ist er ein guter Arzt?“
    „Ein sehr guter. Ginge ich nicht zu Lotty - Dr.
Herschel -, würde ich zu ihm gehen.“ Als Lotty ihre Praxis aufmachte, war sie
nur esa judia - diese Jüdin - gewesen, später die Frau Doktor.
Mittlerweile ging die ganze Nachbarschaft in ihre Praxis. Mit allem kamen sie
zu ihr, egal ob es sich um ein erkältetes Kind oder um Probleme mit der
Arbeitslosigkeit handelte. Ich vermutete, daß es Tregiere mit der Zeit genauso
ergehen würde.
    Es war halb sieben, als er zusammen mit einem
weiteren Mann im grünen Kittel und einem Priester hereinkam. Malcolm war grau
vor Erschöpfung. Er setzte sich neben Mrs. Alvarado und sah sie ernst an.
    „Das ist Dr. Burgoyne, der sich um Consuelo
gekümmert hat, seit sie hier ist. Wir konnten das Baby nicht retten. Wir haben
getan, was möglich war, aber es war zu klein. Es konnte nicht atmen, auch
künstliche Beatmung hat nichts genützt.“
    Dr. Burgoyne, ein Weißer, war Mitte Dreißig. Sein
dichtes schwarzes Haar war schweißverklebt. Ein Muskel neben seinem Mund
zuckte, und er nahm nervös die Mütze, die er abgesetzt hatte, von einer Hand
in die andere.
    „Wir dachten, daß alles, was die Wehen hinauszögern
könnte, Ihrer Tochter schaden würde“, sagte er leise zu Mrs. Alvarado.
    Sie beachtete ihn nicht, sondern wollte
nachdrücklich wissen, ob das Kind getauft worden sei.
    „Man rief mich, sobald das Baby geboren war“, sagte
der Priester. „Ihre Tochter hat darauf bestanden. Das Kind wurde auf den Namen
Victoria Charlotte getauft.“
    Mein Magen verkrampfte sich. Ein alter Aberglaube
an die Verwandtschaft von Namen und Seelen ließ mich frösteln. Ich wußte, es
war absurd, aber ich fühlte mich unwohl, als ob zwischen mir und dem toten
Kind eine unauslöschliche Verbindung bestand, nur weil es meinen Namen trug.
    Der Priester nahm Mrs. Alvarados Hand. „Ihre
Tochter ist sehr tapfer, aber sie hat Angst, auch weil sie glaubt, daß Sie böse
auf sie sind. Würden Sie mitkommen und ihr versichern, daß dem nicht so ist?“
Mrs. Alvarado stand auf und folgte dem Priester und Tregiere. Burgoyne blieb
sitzen und
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