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Tödliche Therapie

Tödliche Therapie

Titel: Tödliche Therapie
Autoren: Sara Paretzky
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setzten uns in den mickrigen Schatten
der jungen Bäume und beobachteten schweigend die Enten. Daran gewöhnt, von
Besuchern gefüttert zu werden, schwammen sie zu uns her und schnatterten
hoffnungsvoll.
    „Wenn es ein Mädchen wird, müßt ihr, du und Lotty,
die Taufpaten sein, V. I.“
    „Charlotte Victoria? Mit diesem Namen wird es das
Kind nicht leicht haben. Du solltest deine Mutter fragen, Consuelo, das würde
sie versöhnlicher stimmen.“
    „Versöhnlicher? Sie glaubt, ich bin schlecht und
vergeude mein Leben. Carol auch. Nur Paul ist nicht so... Was denkst du, V. I.?
Glaubst du auch, daß ich schlecht bin?“
    „Nein, cara. Ich glaube, du hast Angst. Sie wollten dich
mutterseelenallein hinaus ins Leben schicken, damit du die Lorbeeren für sie
gewinnst. Das ist schwer für einen allein.“
    Sie hielt meine Hand wie ein kleines Mädchen.
„Also, wirst du Taufpatin?“
    Mir gefiel nicht, wie sie aussah - zu blaß, mit
roten Flecken im Gesicht. „Ich bin nicht in der Kirche. Der Pfarrer wird da
auch noch ein Wörtchen mitreden wollen. Ruh dich hier ein bißchen aus, ich
fahre schnell zu einer Imbißbude und hol uns was Kaltes zu trinken.“
    „Ich - bitte, bleib hier, V. I. Mit ist komisch,
meine Beine sind so schwer... Ich glaube, das Baby kommt.“
    „Das ist unmöglich. Du bist erst am Ende des
siebten Monats!“ Ohne zu wissen, worauf ich achten sollte, legte ich die Hand
auf ihren Bauch. Ihr Hemd war feucht, ich spürte, wie sich ihre Bauchmuskeln
verkrampften. Voller Panik blickte ich mich um. Kein Mensch zu sehen. Natürlich
nicht, nicht hier in dieser gottverlassenen Gegend jenseits von O'Hare. Keine
Straßen, keine Leute, nur endlose Meilen von Einkaufszentren und Fastfoodläden.
    Ich versuchte, meiner Panik Herr zu werden und
möglichst ruhig zu sprechen. „Ich werd dich für ein paar Minuten allein lassen,
Consuelo. Ich muß in das Gebäude und herausfinden, wo das nächste Krankenhaus
ist. Ich komm sofort zurück. Versuch, möglichst langsam und tief
durchzuatmen.“ Ich drückte ihre Hand. Die riesigen braunen Augen in ihrem
verzerrten Gesicht sahen mich entsetzt an, aber sie brachte ein gequältes
Lächeln zustande.
    Im Gebäude blieb ich einen Augenblick verwirrt
stehen. Es roch leicht beißend, und von irgendwoher kam ein brummendes
Geräusch, aber weit und breit war kein Auskunftsschalter zu sehen, kein
Portier. Es hätte auch der Eingang zur Hölle sein können. Ich folgte dem
Geräusch einen kurzen Flur entlang. Rechterhand öffnete sich ein riesiger Raum
voller Fässer und voll von dichtem Dunst und schwitzenden Männern. Links
entdeckte ich eine vergitterte Tür, auf der EMPFANG geschrieben stand.
Dahinter saß eine Frau mittleren Alters mit ausgeblichenem Haar. Sie war nicht
dick, hatte aber dieses schwammige Kinn, das ein Zeichen schlechter Ernährung
und fehlender körperlicher Betätigung ist. Sie wühlte in Bergen von Papier. Es
schien ein hoffnungsloser Fall.
    Als ich sie ansprach, sah sie mit ärgerlichem
Ausdruck auf. Ich erklärte ihr die Situation, so gut ich konnte.
    „Ich muß mit Chicago telefonieren, ich muß mit
ihrer Ärztin sprechen, muß herausfinden, wohin ich sie bringen kann.“
    Lichtreflexe blinkten auf ihren Brillengläsern; ich
konnte ihre Augen nicht sehen. „Ein schwangeres Mädchen? Draußen am See? Sie
müssen sich irren!“ Sie sprach mit dem typisch nasalen Tonfall des südlichen
Chicago.
    Ich holte tief Luft und versuchte es noch mal. „Ich
habe ihren Mann hierher gefahren - er spricht gerade mit Mr. Hector Munoz.
Wegen eines Jobs. Sie ist mitgekommen. Sie ist sechzehn. Sie ist schwanger,
die Wehen haben eingesetzt. Ich muß ihre Ärztin anrufen, muß ein Krankenhaus
finden.“
    Das Doppelkinn vibrierte. „Ich bin nicht sicher, ob
ich Sie richtig verstehe. Aber wenn Sie telefonieren wollen, kommen Sie herein,
meine Liebe.“
    Sie drückte auf einen Knopf neben ihrem
Schreibtisch, öffnete damit die Tür, deutete auf das Telefon und wandte sich
wieder ihren Papierbergen zu.
    Carol Alvarado reagierte mit jener erstaunlichen
Ruhe, wie sie manche Menschen in Krisensituationen an den Tag legen. Lotty war
im Beth Israel beim Operieren; Carol wollte die Entbindungsstation dort anrufen
und herausfinden, wohin ich ihre Schwester bringen sollte. Sie wußte, wo ich
mich befand - sie hatte Hector ein paarmal besucht.
    Ich stand da, der Telefonhörer feucht in meiner
Hand, ich schwitzte, meine Beine zitterten, und ich mußte mich beherrschen,
vor Ungeduld
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