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Der Kuss

Der Kuss

Titel: Der Kuss
Autoren: Kooky Rooster
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Eskalierende Gespräche
     
    Michael lag auf dem Rücken und strich mit den Handflächen über die raue, vollgebröselte Oberfläche des Teppichs. Vor zwei Dosen Bier hatte ihm davor noch gegraust, jetzt war es interessant, verknotete Fussel aufzuspüren und sie mit den Fingern herauszuzupfen.
    Ein Windstoß hob die zugezogenen Vorhänge etwas an, und das grelle Sonnenlicht fraß sich durch das kühle, blaue Licht des ausgesperrten Tages. Es blendete.
    „Und? Hast du?“, fragte Lukas. Er saß neben Michael auf dem Fußboden, den Blick gebannt auf den Fernseher gerichtet, während seine Finger hektisch den Controller bearbeiteten.
    Den heißen Sommertag hinter Vorhängen und Jalousien versteckt, hatten sie sich über einen Stapel Computerspiele hergemacht. Vor einer Stunde hatte Lukas die ersten Dosen Bier geholt und Michael eine in die Hand gedrückt. Michael verkniff sich zuzugeben, dass er so gut wie nie Alkohol trank. Bloß nicht uncool rüberkommen.
    Lukas war sein neuer Nachbar. Er rauchte, fuhr ein Moped, betonte die definierten Arme mit einem Muskelshirt, trug sein braunes Haar verwegen lang und offenbar trank er auch Alkohol. Außerdem hatte er bereits eine richtige – und wie Michael fand – coole Arbeit, und zwar in der Multimedia–Abteilung eines großen Elektrofachhandels. Dass sich Lukas mit ihm abgab, schrieb Michael rein der geografischen Nähe zu. Und vielleicht der Tatsache, dass es eine Menge Spiele gab, die sich zu zweit besser spielen ließen.
    Michael war in allem das Gegenteil von Lukas. Er war Vegetarier, trug sogar im Sommer Kapuzenpullis, damit er die schmalen Schultern und Arme verstecken konnte, hatte einen braven, zeitlosen Kurzhaarschnitt und fuhr ein froschgrünes Citybike. Zudem ging er noch zur Schule – hatte zwar nur noch ein Jahr vor sich, aber es erlaubte ihm nicht so unabhängig zu sein wie Lukas.
    Das Bier wirkte. Irgendwie waren sie auf dieses leidige Thema gekommen. Michael starrte an die Zimmerdecke.
    „Nein“, sagte er.
    Er war zu betrunken, um zu lügen. Normalerweise hätte er abgewogen, welche Antwort am besten rüberkam. Er hätte vermutlich nicht die Wahrheit gesagt. Jetzt aber hatte er das Bedürfnis, die Welt damit zu beschenken. Lukas drückte die Pause-Taste und drehte sich zu Michael um.
    „Echt jetzt?“, fragte er.
    „Echt jetzt!“, bestätigte Michael, und dann floss es einfach so aus ihm heraus: „Wie sollte ich Sex haben? Ich habe noch nicht mal geküsst. Nicht mal Händchen gehalten, oder umarmt oder so etwas.“ Er macht eine ausladende Geste, als stelle er eine imaginäre Vase zu seiner linken: „Hier Michael –“, schwang umständlich auf die rechte Seite, „hier Mädchen.“ Dann spannte er einen ausladenden Bogen über sich, verband damit beide Pole: „Und hier ein paar Universen. Es gibt faktisch keine Verbindung von hier nach da.“
    Lukas folgte belustigt der übertrieben bildlichen Darstellung.
    „Du machst Witze, oder?“
    Michael schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Rasch öffnete er sie wieder, da ihm schwindlig wurde.
    „Darüber mach ich keine Witze.“
    Er merkte, wie es ihn runterzog. Eigentlich wollte er über dieses Thema nicht sprechen. Es war ein wunder Punkt. Er zog vor es zu verdrängen. War es das Bier? Oder der ausgesperrte Sommertag? Lukas? Der Schmerz knallte gerade richtig schön rein. Er warf Lukas einen verzweifelten Blick zu.
    „Wie alt bist du? Siebzehn?“ Lukas hob ungläubig die Augenbrauen. Gefühlte vierhundert Falten bildeten sich auf seiner Stirn. Er legte den Kopf schief.
    „Ich will nicht darüber reden“, murmelte Michael kläglich. Ihm war danach, in seine Wohnung rüber zu laufen, sich bei dröhnendem Heavy Metal in Embryonalstellung aufs Bett zu werfen, ein Kissen zu umarmen und den Rest des Tages über Suizid nachzudenken. Aber das Bier und der lähmende Sommernachmittag hatten die Anziehungskraft der Erde vervielfacht.
    „Willst du denn Keine? An Gelegenheit wird es doch kaum mangeln. Du bist klug, du siehst gut aus …“
    Michaels Blick flitzte über die Zimmerdecke sofort zu Lukas. Er scannte dessen Gesicht. Meinte er ernst, was er er da sagte?
    „Mach dich nur lustig“, entfuhr es ihm mürrischer, als er es wollte.
    Lukas' Neugier war offenbar geweckt. Wer hätte gedacht, dass er heute noch mal seinen Blick vom Fernseher würde lösen können und über etwas anderes sprechen, als Levels und Highscores? Er legte sich bäuchlings neben Michael auf den Boden und musterte ihn
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