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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien
Autoren: Michael Ridpath
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Fernsehschirme. Als ich die Halterung am Hinterkopf schloß, umgab mich eine vollkommen neue Welt.
    Vor mir entfaltete sich eine sanfte grüne Hügellandschaft, die in der Ferne zunächst in ein braunes und dann in ein graues Gebirge überging. Auf den Hügeln verteilten sich Gebäudegruppen von verschiedener Größe und Farbe, mit Nationalflaggen geschmückt. Langsam verschob sich die ganze Landschaft. Auf halbem Weg zu den Bergen am Horizont glitt ein Adler mit trägem Flügelschlag über einige hohe Gebäude hinweg.
    Was ich vor Augen hatte, war eine Darstellung aller Rentenmärkte der Welt. Die Landschaft setzte sich aus einer Reihe von Hügelkämmen zusammen. Jeder Kamm stellte einen Rentenmarkt dar. Je höher die Kämme, desto höher die Renditen. Die Ebene im Vordergrund stand für den japanischen Markt mit nur vier Prozent Rendite, dann folgten, immer höher ansteigend, Amerika, Deutschland, Frankreich, Großbritannien. Und im Hintergrund ragte Italien mit einer Rendite von neun Prozent in die Höhe. Außerdem fiel die Hügellandschaft von rechts nach links ab – die Anleihen mit höherer Rendite und längerer Laufzeit lagen rechts, mit geringerer Rendite und kürzerer Laufzeit links. Ein Blick auf die Landschaft ließ sogleich erkennen, in welcher Beziehung die Renditen in den verschiedenen Märkten zueinander standen.
    Am Fuß der Hügel stand ein Uhrenturm. Ich bewegte den Zeigestock in meiner Hand. In der virtuellen Welt sah ich, wie der Stab über die Landschaft schwenkte. Als er auf den Uhrenturm zeigte, stellte ich die Zeit per Knopfdruck um über eine Stunde auf 14.40 Uhr GMT zurück – einen Zeitpunkt, ein paar Minuten vor Greenspans Ankündigung. Dann drückte ich auf das Icon für schnellen Vorlauf und beobachtete, was geschah.
    In den ersten Sekunden, die die ersten Minuten Echtzeit wiedergaben, blieb alles ruhig. Dann begannen sich die Hügel plötzlich zu verwerfen und zu buckeln. Erst wuchs der eine Kamm empor, dann der nächste, und schließlich hob sich die ganze Landschaft, worin sich der plötzliche Anstieg der Renditen und der ebenso plötzliche Fall der Rentenkurse in der ganzen Welt ausdrückte.
    Dabei fiel mir eine Besonderheit ins Auge. Noch einmal ließ ich die Sequenz ablaufen. Offenbar hob sich der Abschnitt, der den französischen Markt darstellte, höher heraus als seine Umgebung.
    Ich deutete also mit dem Stab auf die Trikolore, peilte vorsichtig eine Stelle auf dem Hügel an, ging hinunter, um dort zu landen, und startete die Simulation ein drittes Mal. Abermals war es 14.40 Uhr GMT. Der deutsche und der amerikanische Markt befanden sich auf Kämmen direkt unter mir, während der holländische und der englische Markt auf Hügeln über mir lagen. Als die Sequenz bei 14.46 Uhr angelangt war, hatte ich das Empfinden, plötzlich in die Höhe zu schießen. Auch die Kämme über und unter mir waren in Bewegung geraten, aber nicht so heftig wie meiner. Besonders schnell wuchs der Teil des französischen Hügelkamms, der die Anleihen mit fünfjähriger Laufzeit repräsentierte.
    »Die französischen Fünfjahrespapiere sind irre billig. Check das!« rief ich Ed zu.
    »Okay«, sagte er. Pause. Ich konnte nicht sehen, was er in der Echtwelt machte, aber ich hörte das Klicken der Tastatur, als er die Preise auf seinem Bildschirm durchging. Er schaltete die Gegensprechanlage ein und bekam Verbindung zu Harrisons französischem Bond-Trader in Paris. »Philippe? Hier ist Ed in London. Was ist mit den Fünfjahresanleihen los?«
    Philippe hörte sich nicht gerade glücklich an. »Weiß nicht. Es ist verrückt. BGL hat einen gigantischen Verkäufer. Keine Ahnung, was dahintersteckt. Ich würde ja kaufen, wenn ich könnte, aber meine Position ist einfach schon zu groß.«
    »Danke«, sagte Ed. »Hast du es mitgekriegt?« hörte ich ihn fragen.
    »Ja«, sagte ich. BGL war eine große Schweizer Bank, die nicht gerade für besondere Raffinesse am Markt bekannt war. Wahrscheinlich war man dort einfach in Panik geraten. »Nun brauchen wir nur noch zu gucken, was für Papiere wir kaufen.«
    Jedes Gebäude auf den Hügelketten stand für eine bestimmte Anleihe. Je höher das Gebäude, desto höher die Rendite. Meine Absicht war es, eine Anleihe zu kaufen, deren Rendite in diesem Durcheinander ohne vernünftigen Grund besonders in die Höhe geschossen war.
    Noch mal ging ich an den Anfang der Simulation zurück und stand inmitten der Gebäude auf dem Fünfjahressegment des Kamms. Erneut drückte ich
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