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Tödliche Aktien

Titel: Tödliche Aktien
Autoren: Michael Ridpath
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EINS
    Viel war nicht nötig, um an den Rentenmärkten weltweit Verluste von zwanzig Milliarden Dollar auszulösen. Nur ein kurzer Satz. Ein paar Worte, gleichzeitig auf jeden Handelsbildschirm der Welt gezaubert:

    12. April, 14.46 GMT.
    Alan Greenspan, der Vorsitzende des amerikanischen Zentralbankrats, hält den US-Zinssatz für »ungewöhnlich niedrig« und rechnet mit einer baldigen Erhöhung.

    Im Handelssaal wurde diese Ankündigung mit den unterschiedlichsten Ausrufen aufgenommen – hier hörte man ein hysterisches »Himmel, hast du das gesehen?«, dort ein ärgerliches »Was zum Teufel soll das denn?« oder auch ein leise gestöhntes »Oh, Scheiße«.
    Ich stützte den Kopf in die Hände und zählte bis zehn. Leider war die Nachricht nicht verschwunden, als ich wieder aufblickte.
    Dann brach die Panik aus.
    Die Leute brüllten ins Telefon und sich gegenseitig an. Etienne, mein Chef und Leiter der Handelsabteilung von Harrison Brothers, schrie den Futures-Tradern zu, alles zu verkaufen, zu jedem Preis. Auf den Telefonen flackerten die Lichter wie Laseranlagen in Diskotheken – Kunden mit immer der gleichen Order: Verkaufen, verkaufen, verkaufen. Mit der Hand über der Sprechmuschel fragten Verkäufer ihre Trader, welchen Preis sie für die Anleihe ihrer Kunden zahlen wollten. Aber die waren nicht interessiert. Sie mußten zunächst einmal ihre eigenen Long-Positionen loswerden.
    Für einen Augenblick wandte sich Etienne mir zu. »Wie sind Ihre Positionen, Mark?«
    »Nicht besonders.«
    Ein Anflug von Triumph huschte über Etiennes Gesicht, war aber wieder verschwunden, als er sich umdrehte, um sich erneut in das Chaos zu stürzen.
    Ich war wütend auf mich selbst. Noch am Morgen hatten wir uns auf der Konferenz darüber gestritten, wie wahrscheinlich eine Änderung der US-amerikanischen Zinspolitik sei. In der Überzeugung, daß der Rentenmarkt stabil bleiben würde, hatte Etienne sich dafür stark gemacht, unsere Positionen zu lassen, wie sie waren. Ich war anderer Meinung gewesen und hatte mir vorgenommen, meine Positionen gründlich gegen eine Zinserhöhung abzusichern.
    Pläne hatte ich zwar gemacht, aber getan hatte ich nichts. Nun hatte es mich long erwischt, und zwar schlimm, sehr schlimm.
    Zwei Jahre lang waren die Zinsen Monat um Monat gefallen. Mit gleicher Regelmäßigkeit waren die Rentenkurse gestiegen. Da war das Geldverdienen leicht gewesen. Je mehr Anleihen man hatte, desto mehr Geld kam herein. Genau dieser Strategie verdankte Harrison Brothers die Rekordgewinne des letzten Jahres, so wie die meisten anderen großen amerikanischen Investmentbanken am Markt. Doch mit der Ankündigung einer Zinserhöhung hatte die US-Zentralbank das große Gemetzel eingeläutet. Die Rentenkurse würden nachgeben und dann noch weiter abrutschen, weil die Leute verkaufen würden – um ihre Gewinne zu retten, um ihre Positionen abzusichern oder einfach nur, um ihrer Angst und Panik Luft zu machen.
    All das hatte ich kommen sehen und nichts getan. Wie konnte man nur so blöd sein?
    »Was sollen wir tun?« Ed Bayliss sah mich durch seine dicken Brillengläser an. Er umklammerte die Kaffeetasse, als hinge sein Leben davon ab. Die erste echte Marktpanik, die er erlebt, dachte ich. Nachdem er das Trainingsprogramm absolviert hatte, war er mir vor drei Monaten zugewiesen worden, um mir zu helfen, das firmeneigene Handelsbuch des Londoner Büros zu betreuen. Eine wichtige Aufgabe: Wir waren für Harrison Brothers’ Eigenhandel am Rentenmarkt zuständig. Zwar fehlte Ed noch die Erfahrung, aber er war intelligent und lernte rasch. Im normalen Geschäftsbetrieb war er mir eine große Hilfe. Wie er unter Streß zurechtkam, würde sich bald zeigen.
    »Stellen wir mal fest, wieviel wir verloren haben.«
    Ich überprüfte meine Bildschirme. Die anfängliche Panik hatte sich zur Stampede ausgewachsen. Fast zwei Punkte hatten die US-Staatsanleihen mit dreißigjähriger Laufzeit, die sogenannten Langläufer, bereits verloren. Ich blickte hinüber zu Greg, unserem Trader an diesem Markt. Wie ich wußte, hielt er eine Long-Position von hundertzwanzig Millionen Dollar. Die allein hatte ihn schon zwei Millionen gekostet. Wie ein Wilder hantierte er mit den Telefonen, bemüht, wenigstens ein paar seiner Anleihen in der »Street« loszuschlagen, das heißt an Trader anderer Broker.
    Auch die deutschen, französischen und englischen Rentenmärkte zeigten einen scharfen Abwärtsknick. Ganz offensichtlich war der Markt von den
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