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Todesstatte

Titel: Todesstatte
Autoren: Booth Stephen
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der Gärung, die Scharen von Bakterien und Verdauungsenzymen, die den Körper der Erde zurückgaben.
    Wenn der Moment kam, würde er sicher unerträglich werden. Er würde vor Angst erstarren und es nicht wagen, einem Gedanken oder Gefühl Ausdruck zu verleihen, weil das womöglich eine Barriere sprengen würde, die die Würmer und die Dämonen des Grabes zurückhielt. Jeder würde denken, er sei herzlos und kalt, weil er keine Trauer zeigte. So, wie er empfand, würde er seiner Familie vielleicht gar nicht gegenübertreten können.
    Ben fragte sich, ob es irgendjemanden gab, dem er das hätte erklären können. Er zog in Erwägung, mit Claire oder Matt darüber zu sprechen, wusste jedoch, dass sie es nicht verstehen würden. Es wäre ohnehin nicht fair gewesen, es ihnen aufzubürden. Niemand wollte über den Tod nachdenken. Wirklich darüber nachdenken . Er hatte Angst davor, sie damit zu schocken, wenn er über den Leichnam seiner Mutter in der dritten Person sprach. Doch seine Wahrnehmung vom Sterben hatte sich gewandelt. Er glaubte nicht mehr daran, dass das, was nach dem Tod übrig blieb, noch der Mensch sein würde, den er gekannt und geliebt hatte.
    Einen Augenblick lang betrachtete er die Lichter auf der Umgehungsstraße. Sie flackerten und erstarben auf der Brüstung der Fußgängerbrücke, eines nach dem anderen, obwohl die Fahrzeuge selbst hinter der Abzäunung nicht zu sehen waren. Das Tosen des Verkehrs erinnerte ihn an den Garten der Erinnerung beim Krematorium. Er schauderte, ging zurück in die Station und ließ die anderen eine Pause machen.
    Â 
    Â 
    Ben Cooper hatte lange die Hand seiner Mutter gehalten, bis er schließlich in dem Stuhl neben ihrem Bett eingeschlafen war. Er hatte nur kurz gedöst, trotzdem wachte er mit dem Gefühl auf, als sei viel Zeit vergangen, als habe sich die Welt verändert, während er geschlafen hatte. Er hatte geträumt, dass er sich in einer riesigen, hallenden Höhle befand, in der überall um ihn Wasser herablief. Doch der Traum verflüchtigte sich schnell, als er die Augen öffnete und sich erinnerte, wo er war.
    Er hielt noch immer die Hand seiner Mutter, aber ihre Finger fühlten sich schlaff und kalt an.
    Â»Mum?«
    Sie hatte die Augen geschlossen, als würde auch sie schlafen. Er fragte sich, wovon sie wohl träumte. Ben legte ihr die Hand auf die Stirn. Ihre Haut war glatt – glatter, als sie seit Jahren gewesen war. Und auch viel kühler.
    Er betrachtete die unnatürliche Blässe ihres reglosen Gesichts und glaubte zunächst, sie sei durch eine Marmorstatue ersetzt worden, während er geschlafen hatte. Durch eine wunderschöne Statue, fein gemeißelt, aber ohne den Lebensfunken.
    Â»Mum?«
    Er hatte es oft genug gesehen, um die Wahrheit zu wissen. Die Reglosigkeit seiner Mutter war mehr als nur Schlaf und ließ nicht das geringste Anzeichen von Atmung erkennen.
    Ben legte die Hand seiner Mutter behutsam auf die Bettdecke und achtete darauf, dass sie sich in einer bequemen Stellung befand. Dann tätschelte er sie zweimal und blickte zum Fenster auf. Er war sich nicht ganz sicher, was er in diesem Moment hätte empfinden sollen. Er hatte damit gerechnet, in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt zu werden, doch das Einzige, was er spürte, war eine Taubheit, die sich in ihm ausbreitete, eine Art Leere, die darauf wartete, gefüllt zu werden.
    Schließlich erhob er sich aus seinem Stuhl neben dem Bett und öffnete die Tür. Er drehte sich noch mal um und warf einen letzten Blick auf seine Mutter. Sie wirkte friedlich, wofür er dankbar war. Und ihr Bett war vor kurzem frisch gemacht worden, sodass sie ordentlich und gepflegt aussah. Auch das schien wichtig zu sein.
    Langsam ging Ben die wenigen Meter durch den Flur zum Schwesternzimmer. Eine junge Krankenschwester in blauer Uniform sah zu ihm auf und lächelte.
    Â»Ja, Sir? Kann ich irgendwas für Sie tun?«
    Â»Es geht um meine Mutter«, sagte er. »Ich glaube, sie ist tot.«

37
    O bwohl seit dem Tod seiner Mutter bereits zwei Tage vergangen waren, war Diane Fry noch immer ungewöhnlich aufmerksam. Das machte Cooper nervös.Wie es sich für eine tüchtige Vorgesetzte gehörte, war sie um sein Wohlbefinden besorgt, stellte vorsichtig die üblichen Fragen, um sich nach seinem seelischen Zustand zu erkundigen und ob er in der Lage war, seiner
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