Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Todesstatte

Titel: Todesstatte
Autoren: Booth Stephen
Vom Netzwerk:
Unsichtbar, bis auf die gezackten Linien des Schmerzes, die in meine Erinnerung eingemeißelt sind. Meine Knochen werden nie vergessen – bis zu dem Tag, an dem ich sterbe.
    Unsere Knochen haben etwas Magisches. Sie produzieren unsere roten Blutkörperchen, von denen Billionen durch unseren Körper strömen. Ich glaube, die Magie liegt im Knochenmark, dieser blassen und mysteriösen gallertartigen Masse. Wenn ich doch nur genug davon heraussaugen könnte, wäre mein Blut vielleicht stärker, und meine Knochen würden heilen.
    Doch jedes Mal, wenn ich über Blut oder Schmerz nachdenke, spüre ich die Nerven hinten in meinen Waden, ein unwillkürliches Zucken, ein plötzliches Unbehagen, als würde sich das Blut aus meinen Adern zurückziehen wie seichtes Wasser, das über scharfe Steine fließt. Welche unmittelbare Verbindung besteht zwischen meinem Gehirn und den Muskeln in meinen Beinen? Das ist eine der Eigenarten des Körpers, ein Geheimnis, das kein Pathologe jemals mit seinem Messer ans Tageslicht bringen wird.
    Doch er wird bald verschwunden sein, der Mann, der mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Sobald sich die letzten Fetzen seines Fleisches abgelöst haben, wird ihm das Leben entgleiten. Letztendlich wird sich seine Seele vom Körper trennen, wird herausgesaugt werden wie eine tote Schnecke aus ihrem Haus, wie Abwasser aus einem Faulbehälter. Seine Stimme wird in meinem Kopf verstummen, der Schmerz, den seine Gegenwart verursacht, wird abklingen, und die Albträume werden aufhören. Keine endlosen Erinnerungen mehr an Züchtigungen, an das Gefühl seines Halses in meinen Händen, eines schweißbedeckten Halses, während er hilflos und blutend daliegt – aber ich schaffe es einfach nicht, ihn zu töten.
    Nur noch ein Tag. Und dann kann ich sein wie jeder andere. Es dauert nur noch einen Tag.
    Und diesmal wird es sich um einen echten Mord handeln. Die endgültige, vollständige und vollkommene Zerstörung. Heute Abend wird er für immer verschwinden. Aus der Todesstätte verschwinden.
    Â 
    Â 
    Fry dachte, das Tagebuch sei zu Ende. Sie blätterte die Seite um, auf der sich der scheinbar letzte Eintrag befand. Doch auf der Rückseite war noch ein letztes Gekritzel – zwei Zeilen in hastig hingeschmierten Großbuchstaben:
    ES WAR ALLES EINE LÜGE. ER IST NOCH IMMER HIER IN MEINEM KOPF. WEN MUSS ICH NOCH TÖTEN, UM DIESES DING IN MIR LOSZUWERDEN?
    Â»Es gibt noch einen früheren Eintrag, der identisch mit einem der Telefonanrufe zu sein scheint«, sagte Fry, als sie mit dem Lesen fertig war.
    Cooper nickte. »Einen Teil davon hat er von Professor Robertson übernommen. Aufzeichnungen aus der Zeit, als Vernon sein Student war, vielleicht? Anscheinend hat er jedes Wort für bare Münze genommen. Aber der Professor konnte auch ziemlich überzeugend sein. Fast schon hypnotisierend.«
    Fry steckte das Tagebuch wieder in den Plastikbeutel und zog die Handschuhe aus.
    Â»Und was ist mit den sterblichen Überresten auf der Fox House Farm, Ben?«
    Â»Vermutlich wird sich rausstellen, dass es sich um Vernons Vater handelt.«
    Â»Richard Slack? Du glaubst, dass Vernon den Leichnam seines eigenen Vaters gestohlen hat?«
    Â»Das wäre einfacher gewesen als bei Audrey Steele«, sagte Cooper. »Vor allem, weil Richard nicht eingeäschert, sondern beerdigt werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits andere Leute in die Sache verwickelt.«
    Â»Aber warum?«
    Â»Es würde einen Sinn ergeben, wenn Vernon ein paar von den Ideen übernommen hat, die Freddy Robertson ihm beigebracht hat – die Praktik der Exkarnation, den Sarkophag und das Beinhaus. Er hat einen Leichnam in die ›Todesstätte‹ gelegt, um sicherzugehen, dass an den Knochen kein Fleisch mehr vorhanden war.«
    Â»Und er ist immer wieder hingegangen, um sich von dem Fortschritt zu überzeugen?«
    Â»Er wollte ganz sicher sein, dass die Seele seines Vaters verschwunden war, weil er befürchtet hat, sie könnte verweilen, wenn die Knochen nicht vollkommen sauber und trocken sind. Das ist es doch, was Robertson ihm erzählt hat.«
    Â»Und als die Knochen endlich sauber waren …«
    Â»Dachte Vernon, er wäre befreit. Befreit von den Albträumen, befreit von der Erinnerung an seinen Vater. Anscheinend hat er geglaubt, sein Vater würde sich noch immer irgendwie in seinem Kopf befinden.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher