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Todesspiel

Todesspiel

Titel: Todesspiel
Autoren: R.Scott Reiss
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reden. Bei Rosa fand er jeden Abend Frieden.
    Eine Traube von Gaffern blockierte die Straße. Der Feuerschein tauchte ein Meer aus nackten Rücken, bunten Kleidern und Sandalen in rötliches Licht. Die Dächer der Baracken ragten in spitzen Winkeln zwischen einem Gewirr aus Stromkabeln und Fernsehantennen in den Himmel. Rubens kämpfte sich den Weg zu seinem Haus frei. In der Ferne ertönte wie eine Illusion, wie ein übler Scherz, als würde am Amazonas irgendetwas tatsächlich funktionieren, die Sirene eines Feuerwehrwagens – ein sinnloser Wettlauf gegen die Zeit.
    Sein Vater kam aus seinem eigenen Haus ein Stück die Straße hinauf und wankte, auf seinen Stock gestützt, auf
    Rubens zu. Er war unverletzt, aber das Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Rubens, es tut mir so leid –«
    Es ist meine Schuld. Ich trage die Verantwortung dafür.
    Ein Nachbar sagte: »Die Propangasflasche ist explodiert. Wir haben gesehen, wie Rosa versucht hat, durchs Fenster zu entkommen.«
    Hände packten ihn, hielten ihn zurück. Man konnte kaum noch etwas sehen. Der Rauch brannte ihm in den Augen, mischte sich mit seinen Tränen. Er hörte jemanden schreien, dann wurde ihm bewusst, dass er das selbst war.
    »Rubens! Wenigstens war Estrella nicht zu Hause! Schau! Da kommt deine Tochter! Sie ist in Sicherheit!«
    Das Wort Sicherheit riss ihn aus seiner Erstarrung, zumindest für den Augenblick. Es erinnerte ihn an seine Pflicht. Es lenkte ihn von dem riesigen Loch ab, das gerade in sein Leben gerissen worden war. Estrella weinte und klammerte sich an ihn, ein Kind in einem Baumwollkleid und mit nackten Füßen. Ihre dünnen Arme zitterten. Immer wieder sagte sie: »Papi?«, als könnte er ihr für das alles eine Erklärung geben. Die Erklärung lautete: Der Gouverneur und er waren beide Narren gewesen.
    Rubens schaute seinen Vater über Estrellas Kopf hinweg an.
    »Den Gouverneur haben sie auch umgebracht«, sagte er.
    Er sah, wie das Entsetzen dem Begreifen wich.
    »Ich finde die, die das getan haben«, fügte er hinzu.
    »Nein. Du bringst Estrella von hier fort, ehe sie zurückkommen.« Sein Vater war alt und krebskrank – ein ungebildeter Mann –, aber Rubens wusste, dass er recht hatte. Er begriff, dass er seine Tochter in Sicherheit bringen musste, und er schwor seiner ermordeten Frau, dass er den Mann, der für ihren Tod verantwortlich war, in New York aufspüren würde.

 
1
     
    Der Sommer des Hasses«, titelte die New York Times.
    Die Bedrohung durch terroristische Anschläge auf Flughäfen, die Finanzkrise an der Wall Street und die gewalttätigen Übergriffe auf Einwanderer nahmen täglich zu.
    »Wird der Schmelztiegel bersten?«, lautete eine Schlagzeile der Washington Post.
    Verbrechen, die aus Hass oder Vorurteilen begangen wurden, waren an der Tagesordnung. Militante Weiße erschlugen einen Pakistani, Vater von zwei Kindern, der in Elmhurst Zeitungen verkaufte – der Mann sei Terrorist gewesen, behaupteten sie. Mitglieder der Gruppe »The Islamic Defenders« schossen auf einen italienischen Supermarkt in Bensonhurst und töteten einen sechsjährigen Jungen. Die Hitze stieg auf über fünfunddreißig Grad, und die Polizei verstärkte ihre Abteilung für Hasskriminalität. Aber waren nicht letztlich alle Verbrechen aus Hass geboren?, fragte sich Rubens, als er im Wohnzimmer einer eleganten Stadtvilla in der 63 rd Street stand. Es war sein zweiter Sommer in New York.
    »Hören Sie mir überhaupt zu? Ich möchte, dass Sie das Silber polieren. Und putzen Sie alle vier Bäder. Mein Mann verabscheut Schmutz.«
    »Ja, Mrs Evans«, sagte Rubens.
    »Ich muss gestehen, ich war etwas irritiert, als der Mann vom Reinigungsservice in letzter Minute anrief, um mir mitzuteilen, dass er krank ist und ich heute mit einem Fremden vorliebnehmen muss. Aber er hat mir versichert, dass Sie Ihre Sache gut machen werden.«
    Weil ich ihm gedroht habe, dachte Rubens. Nachdem ich deinen Mann und dieses Haus endlich gefunden hatte.
    »Ich werde sehr gründlich vorgehen«, versprach Rubens. Ihm dröhnte der Kopf, und sein Herz raste. Er verbarg seine Wut, während er in Gedanken noch einmal die Einzelheiten seines Plans durchging.
    Annie Evans stand kaum einen halben Meter von ihm entfernt. Sie war hübsch und zierlich, trug einen schicken, weißen Hosenrock und eine weite, ärmellose Bluse, die ihre braun gebrannten, durchtrainierten Arme zur Geltung brachte. Auf ihrer Stupsnase war noch ein Rest Sonnencreme zu sehen. Unter ihrem
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