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Todesspiel

Todesspiel

Titel: Todesspiel
Autoren: R.Scott Reiss
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mehr Menschen täglich die Gehwege bevölkerten. Während Rubens die Straße entlangging, sah er Paare, die einander an der Hand hielten, so wie er es früher mit Rosa getan hatte. Eltern mit kleinen Kindern. An manchen Abenden waren die Trauer und die Schuldgefühle, die dieser Anblick auslöste, beinahe unerträglich. Aber das hatte ihn nur noch mehr angespornt, seine Suche nicht aufzugeben.
    Die Chancen, sich zufällig an der richtigen Stelle zu befinden, wenn Evans aus dem Haus trat, waren gering. So gering, wie beim Tierlotto einen Hauptgewinn zu erzielen. Dennoch hatte er die Namen auf Briefkästen überprüft. Ganze Blocks, in denen keine Stadtvillen standen oder in denen die Stadtvillen heruntergekommen waren, hatte er ausgeschlossen. Das hatte viel gebracht. Einmal hatte er eine Briefträgerin angesprochen, die jedoch misstrauisch reagiert und seine Fragen nicht beantwortet hatte. Er hatte es in den Restaurants versucht, wo man Essen bestellen konnte, aber es gab Hunderte davon, die die 63 rd Street belieferten, und die Lieferanten konnten unmöglich jeden einzelnen Kunden kennen. Er war die Straße verkleidet entlanggelaufen. An Weihnachten. Während der Rushhour. Es hatte ihn halb verrückt gemacht. Ein echter Polizist wäre problemlos an Telefonnummern und Steuerinformationen gekommen. War der Mann so reich, dass es ihm gelungen war, sich sogar aus öffentlichen Registern streichen zu lassen?
    »Washington ist ganz heiß darauf«, hatte Honor Evans gesagt.
    Vielleicht hatte die Frau sich geirrt. Vielleicht lag die 63 rd Street in Queens oder in der Bronx. Vielleicht war
    Honor Evans umgezogen oder gestorben, hatte Rubens in seiner Verzweiflung gedacht.
    Ich finde dich.
    Dann endlich, vor zwei Monaten, hatte er den Mann zwischen der Fifth Avenue und der Madison Avenue vor einer eleganten Stadtvilla bei heftigem Regen hastig in einen Lincoln steigen sehen. Und einige Stunden darauf, als Rubens in einer kleinen Bibliothek auf der gegenüberliegenden Straßenseite gesessen hatte, war Evans zurückgekehrt. Wenige Tage später war der Mann wieder verschwunden. Andere gingen in dem Haus ein und aus: die Ehefrau, die Kinderfrau, der Mann vom Reinigungsservice. Aber kein Evans. Es hatte Rubens fast um den Verstand gebracht.
    Dann war er dem Putzmann bis nach Hause gefolgt, hatte ihm seinen alten Geheimdienstausweis unter die Nase gehalten, ihn ein bisschen hart angepackt und ihm erklärt, Evans würde überwacht.
    »Er empfängt Privatkunden in seinem Arbeitszimmer«, hatte der Mann gesagt. »Die kommen ständig.«
    »Wer sind die?«, hatte Rubens gefragt.
    »Bitte weisen Sie meine Familie nicht aus!«
    »Beantworte meine Fragen, dann wird euch nichts geschehen. Und wag es nicht, Evans oder seiner Frau zu erzählen, dass du mit mir gesprochen hast!«
    »Ich kenne keine Namen!«
    »Hat das Haus eine Alarmanlage?«
    »Ja. Es ist total abgesichert. Das muss auch so sein, denn in dem Büro befinden sich wichtige Unterlagen und CDs, hat Mr Evans gesagt.«
    Abgesichert! Der Mörder wähnte sich in Sicherheit! Selbst nach zwei Jahren in New York konnte Rubens es nicht fassen, dass Evans’ Frau vor wenigen Minuten mit ihrem Kind allein an ihm vorbei nach draußen spaziert war, zuversichtlich, zufrieden, in Sicherheit. In Brasilien brauchte eine derart reiche Familie Leibwächter und eine Mauer um ihr Grundstück. In Brasilien lebten solche Leute in ständiger Angst vor Entführungen. Sie würden es nie wagen, in der Öffentlichkeit teuren Schmuck zu tragen. Sie fuhren gepanzerte Fahrzeuge, ihre Fahrer waren bewaffnet.
    Diese Leute hielten sich für unverwundbar. Und vielleicht waren sie das sogar, dachte Rubens, der die Macht hier regelrecht spürte. Vielleicht sollte er von hier verschwinden, solange er es noch konnte, und zu seiner Tochter, seinem Job, seinem neuen Leben zurückkehren. Er musste Estrella beschützen.
    Doch der Augenblick der Schwäche ging vorüber. Er schaltete alle Fernseher im Haus aus, damit er es hören würde, wenn jemand hereinkam. Er betrat das sonnendurchflutete Arbeitszimmer, wo eine laut tickende Kaminuhr ihn daran erinnerte, dass Evans jeden Augenblick nach Hause kommen konnte. Aber da er normalerweise in diesem Zimmer arbeitete, musste Rubens seine heutige Abwesenheit ausnützen. Es war die beste Gelegenheit, die sich ihm bieten würde.
    Der Schreibtisch, die Aktenschränke und der handgeschnitzte Kaminsims waren aus Mahagoni. Auf der Arbeitsunterlage befand sich ein ledergebundener
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