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Todesspiel

Todesspiel

Titel: Todesspiel
Autoren: R.Scott Reiss
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Prolog
     
    Ehrlichkeit ist nicht immer die beste Strategie.
    An einem Nachmittag Anfang September stand in der abgelegenen Amazonasstadt Rio Branco ein dunkelhäutiger, drahtiger, einunddreißigjähriger brasilianischer Polizist namens Rubens Machado Lemos nervös neben einem zerbeulten, alten Peugeot und suchte den Himmel nach einem Privatflugzeug ab, das schon vor Stunden hätte eintreffen sollen. An Bord befand sich ein Fremder aus New York – und Rubens hatte den Befehl, diesen Mann hereinzulegen.
    »Kleiden Sie sich schlampig, stellen Sie sich dumm. Lassen Sie Honor Evans nicht wissen, dass Sie Englisch sprechen«, hatte der Gouverneur gesagt.
    Statt seiner Uniform trug Rubens alte Baumwollshorts, Sandalen und eine schmuddelige Guayabera. Die Fahndungsfotos des FBI – Terrorist, würde darunterstehen – würden später sein dichtes, lockiges kupferrotes Haar und seine schwarzen intelligenten Augen hervorheben.
    »Senor Evans ist ein Mörder«, hatte der Gouverneur gesagt. »Wo er hingeht, gibt es Tote.«
    »Warum lassen Sie mich ihn dann nicht einfach verhaften?«
    »Sehr witzig«, hatte der Gouverneur geantwortet.
    Rio Branco war die Hauptstadt von Acre, Brasiliens westlichstem Bundesstaat, eine in den Dschungel geschlagene Boomtown mit 200000 Einwohnern. Aus der Luft wirkte der Ort wie eine Ansammlung von Wellblechhütten, die sich, durchzogen von gewundenen Straßen, um weiße Regierungsgebäude drängten. Die Stadt war umgeben von dichtem Dschungel, und von Osten her war sie über eine einzelne, lange Lehmpiste erreichbar. Die Amazonasfernstraße war die Zukunft, die Lebensader, über die das für die USA, Europa und Japan bestimmte Holz, Gold und Kokain aus dem Land gesogen wurde.
    Am Abend zuvor war der Gouverneur beunruhigt gewesen und hatte zu Rubens, seinem Lieblingsleibwächter, gesagt: »Ich muss vor dem Treffen morgen wissen, was er vorhat. Bringen Sie ihn dazu, dass er sein Mobiltelefon im Auto benutzt, wo Sie seine Gespräche aufnehmen können.«
    An diesem Vormittag waren bereits drei weitere Privatmaschinen gelandet – aus Brasilia, Berlin und Madrid. Und der brasilianische General und die elegant gekleideten Ausländer, die ihnen entstiegen waren – ziemlich fehl am Platze in ihren Anzügen und mit ihren Diplomatenkoffern hatten angespannt, ja beinahe angsterfüllt gewirkt. Rubens fragte sich, warum sie so nervös waren. Diese geschmeidigen, selbstbewussten Männer, die in die Stadt kamen, als würde ihnen alles gehören, wie Rancher, die Schlachtvieh begutachteten, mussten eine ungeheure Macht besitzen.
    Alles hier war neu und doch bereits vom Verfall gezeichnet. Der neue Flughafen verfügte über eine Landepiste, die lang genug war für die Varig 737, die täglich entlegene Orte entlang der brasilianischen Grenzen anflog. Sie brachte Goldsucher mit, Drogenkuriere aus dem 60 Kilometer südlich gelegenen Bolivien, amerikanische Ingenieure, die am Staudamm arbeiteten, am Ethanolprojekt oder an dem geheimen Megaprojekt im Dschungel, über das überall Gerüchte kursierten. Und aus dem Osten, aus Rio, kamen in klapprigen Bussen Tausende von armen Siedlern, die von Flugblättern der Regierung angelockt worden waren: »Land ohne Menschen für Menschen ohne Land«. Aber auf Dschungelboden ließ sich nichts anbauen. Die Neuankömmlinge hatten die Slums von São Paulo gegen die Slums am Amazonas eingetauscht, wo sie einen emporgekommenen Geschichtsprofessor zum Gouverneur gewählt hatten.
    »Honor Evans hat keine Ahnung, dass Sie zwei Monate in Washington waren und an dem Austauschprogramm des Secret Service teilgenommen haben«, hatte der Gouverneur gesagt. »Lassen Sie die Klimaanlage laufen, damit er im Wagen bleibt. Vergewissern Sie sich, dass das versteckte Aufnahmegerät eingeschaltet ist.«
    Weit draußen am blauen Himmel entdeckte Rubens nun den sich nähernden Punkt. Sein Puls ging schneller.
    »Wir werden mit ihm das Tierlotto spielen«, hatte der Gouverneur gesagt und damit angedeutet, dass er ein großes Risiko einging.
    Mehr hatte der Gouverneur nicht preisgeben wollen. Er lebte in seiner persönlichen Bücherwelt. Aber er hatte immerhin für bessere Schulen gesorgt, den Kokainhandel eingedämmt und Gesetze zum Schutz von Dschungelbewohnern unterschrieben, armen Kautschukzapfern, zu denen auch Rubens’ Verwandte gehörten. Die reichen Viehzüchter und wohlhabenden Städter schnitten den Gouverneur. Rubens verehrte ihn und war ihm treu ergeben.
    Das wie ein Raubvogel geformte Flugzeug
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