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Todessphaere

Todessphaere

Titel: Todessphaere
Autoren: Thomas Rabenstein , Volker Ferkau
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viktorianischen Ursprungszustand zurückgebaut hatten, um den sogenannten alten Zeiten zu huldigen. Gordons Vorliebe für das Alte, die damit verbundene Sehnsucht nach einer Zeit, in der Dinge nicht an Touchcoms und über MEGs, also magnetoenzephalographische Sensoren gesteuert wurden, und seine Lust an gebundenen Büchern – ein Archaismus erster und teurer Güte – schienen zu seiner wissenschaftlichen Exaltation nicht zu passen, doch er selbst hatte damit keine Probleme und lebte diese Form von Doppelheit dann, wenn es ihm genehm war.
    Tabakrauch schlug ihm entgegen.
    Hier kümmerte sich niemand um die Allmacht der Krankenversicherung, denn wer hier verkehrte, hatte die unterste Stufe der Existenz bereits erreicht. Trixi, eine prallbusige junge Frau, begrüßte ihn überschwänglich. Sie drückte seinen Kopf an ihr Fleisch, und er sog den Geruch ihrer Haut auf. Hin und wieder schliefen sie miteinander, denn Gordon war nicht nur ein fabelhafter Liebhaber, sondern auch ein Existenzialist, also jemand, der sich nur im Erleben seiner selbst erkannte, ein Erleben, das er genoss, wann immer ihm danach war, das er unbedingt benötigte, um sich seiner selbst sicher zu sein.
    Heute hatte er anderes vor.
    »Wie geht es Mutter?«, fragte er.
    Trixi lächelte und übertönte den allgemeinen Lärm, indem sie ihre Lippen an sein Ohr drückte. »Sie wartet auf dich.«
    Gordon ließ die Frau stehen und drängte sich zwischen erregten und betrunkenen Körpern hindurch, bis er eine Tür hinter sich schloss.
    Es roch nach altem Mensch. nur eine einzelne Kerze beleuchtete den düsteren Raum.
    »Wie geht es dir, Mutter?«
    Ein hagerer Körper richtete sich von der Liege auf, und das schulterlange glatte Haar glühte weiß im Kerzenschein. Mit zitternder Stimme antwortete sie: »Scheiße, mein Junge. Diese Schweinehunde von der Versicherung werden die Operation niemals bezahlen«, ächzte sie. »Gewöhn dich daran, dass deine alte Mutter nicht mehr lange lebt.«
    Er kniete sich neben sie , und sie ließ sich wieder auf die löcherige Matratze fallen. Er sagte: »Gedulde dich noch etwas. Ich habe das Geld fast zusammen. Es dauert nicht mehr lange.«
    »Zu lange, wenn du mich fragst.« Sie streichelte seine Wange. »Hätte ich diesen verschissenen Schnaps gelassen, wäre das alles nicht passiert. Aber nun ist es zu spät, um zu hadern, nicht wahr? Wenn der Sensenmann um die Ecke guckt, sollte man aufhören, sich zu wehren.«
    »Noch einen oder zwei Monate«, sagte Gordon, und Gänsehaut überzog seinen Körper.
    Seine Mutter war
    (roch!)
    krank und sie würde diese Krankheit nicht überleben, wenn er nicht schleunigst das notwendige Geld für eine Operation zusammenbrachte. Sie hatte sich nach der Trennung von Gordons Vater mit den falschen Männern eingelassen , und der Abstieg war schneller geschehen, als eine Fliege furzen konnte. Gordon hatte die Wahl gehabt: Er bezahlte ihr eine schöne Wohnung, in der es lebenswert war, oder er sparte sein Geld für den Eingriff. Nun fragte er sich, ob er die falsche Wahl getroffen hatte.
    »Trixi kümmert sich rührend um mich«, sagte seine Mutter.
    »Ja, sie ist ein gutes Mädchen.«
    »Leben oder sterben, mein Kleiner. Nur darum geht es.« Sie stöhnte und hustete. Blut tropfte aus ihrem Mund , und sie wischte es mit der Bettdecke ab.
    Gordon schüttelte sich. Maßloser Zorn übermannte ihn. So durfte es nicht sein. Jeder Mensch hatte ein Anrecht auf ärztliche Versorgung. Obwohl er Existenzialist war, verneinte er die menschliche Natur nicht, und obwohl er zeit seines Lebens mit den Gedanken im Weltall weilte, stand er mit beiden Füßen auf der Erde. Dieser Zwiespalt wollte ihn hin und wieder zerreißen.
    Er beschloss, seine Meinung zu ändern.
    »Du kommst mit mir. Du wohnst bei mir, bis es dir besser geht.«
    Sie lachte hart. »Deine Wohnung reicht für eine Maus, aber nicht für die Katze, mein Junge. Was willst du mit einem alten Weib, das deine Wände mit Blut vollkotzt?«
    »Wir werden eine Lösung finden.«
    »Rette dich! Bevor es zu spät ist ...«, murmelte seine Mutter. »Das ist viel wichtiger.«
    »Was … was meinst du damit?«
    »Rette dich, Gordon.«
    Sie bäumte sich auf und stieß grausige Geräusche aus, sie rang nach Luft, ihre hageren Finger krallten sich in Gordons Arm.
    Und er begriff: Sie starb!
    Sie starb hier und jetzt. Als hätte sie nur auf ihn gewartet. Um nicht alleine zu sein. Nicht ohne Beistand zu gehen. Und der kalte Hauch, den der Sensenmann über den Raum
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