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Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson

Titel: Todesmal: Ein Fall für Ella Andersson
Autoren: Elias Palm
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klein und eher rundlich ist, ist es wichtig, die Taille hervorzuheben, das hatte sie seit ihrer Zeit als Teenager zu hören bekommen. Klar, dachte sie, die Obduktionskittel würden mit Leichtigkeit eine Schwangerschaft verbergen, bis die Presswehen einsetzten.
    Sie hatte selbst keine Kinder, und ehrlich gesagt hatten sie und Markus das Thema in den vergangenen fünf Jahren auch kaum angesprochen. Allein das sagte schon einiges über ihre Beziehung aus, dachte sie. Aber vielleicht war es ja noch nicht zu spät. Doch in ihrem Inneren spürte sie, dass sie sich selbst belog.
    Es war schon viel zu lange her, dass sie wirklich innegehalten und sich selbst im Spiegel betrachtet hatte. Sie hatte schlicht und einfach nicht gemerkt, dass sie langsam, aber sicher gealtert war. Ella streckte sich und schüttelte den Kopf. Sie hatte genug gesehen. Diese Form von Selbstmitleid war eigentlich nicht ihre Art. Sie musste sich lediglich entscheiden, ob sie es akzeptieren oder etwas gegen das Altern unternehmen wollte. Ihre Mutter hatte sich das Gesicht bereits zum ersten Mal liften lassen, als sie fünfundvierzig war, obwohl sie wirklich keinen Anlass dazu gehabt hatte. Doch Ella war noch lange nicht bereit, sich unters Messer zu legen. Sie würde also ganz einfach gezwungen sein, das zu tun, was alle anderen Frauen auch taten, um sich attraktiv zu fühlen. Schummeln.
    Die Arbeit mit den Toten war eine unverkennbar physische Arbeit und nicht selten auch anstrengend. Doch um sinnvolle Obduktionen durchzuführen, war bedeutend mehr mentale als physische Präsenz erforderlich. Auch wenn einem manchmal die Todesursache bereits während der äußeren Leichenschau offensichtlich erschien, blieb oftmals noch viel zu tun, nachdem die Obduktion abgeschlossen war. Dieser Tatsache war sich Ella nur allzu bewusst, und dieser Tag hatte das mal wieder deutlich gezeigt.
    Bereits als sie heute Morgen in ihrer kurzärmeligen grünen Obduktionskleidung und mit zu einem altmodischen Dutt hochgesteckten Haaren in den kühlen Obduktionssaal getreten war, war ihr klar geworden, dass der erste Fall an diesem Tag kein Routinefall werden würde. Sie hatte sich daran gewöhnt, dass es sich bei den Leichen oftmals um jüngere Menschen handelte. In ihre Abteilung wurden schließlich all diejenigen gebracht, die lange vor der von ihrem Umfeld erwarteten Zeit starben. Einige durch Selbstmord, manche durch Unfälle und wieder andere an Krankheiten, von deren Existenz weder sie selbst noch ihr Umfeld wussten. Doch nur eine geringe Anzahl der Verstorbenen, die auf Ellas rostfreiem Arbeitstisch landeten, war ermordet worden. Irgendjemand musste aber herausfinden, welcher Gruppe die Toten zuzurechnen waren. Und genau diese Problematik machte ihre Arbeit spannend und sinnvoll. Es war ihr Job, herauszufinden, ob das, was nach einem Selbstmord oder einem Unfall aussah, nicht doch ein Mord war. Sie würde die Spuren und Anzeichen finden müssen, die andere übersehen hatten. Sie war ein Teil der Rechtssicherheit. Jedenfalls hatte sie es in ihren ersten Jahren in der Abteilung so gesehen. Inzwischen musste sie sich manchmal selbst an diesen noblen Gedanken erinnern, vor allem an einem heißen Augusttag mit drei Obduktionen von Leichen, die alle schon ziemlich lange gelegen hatten und nur gefunden wurden, weil sie ihre Miete nicht bezahlt hatten oder Ähnliches. Auch die schon halb verwesten Leichen waren automatisch Fälle für die Rechtsmedizin, da ihre Identität nicht immer feststand. Oftmals hatten sie keinerlei Ähnlichkeit mehr mit dem Foto ihres Führerscheins oder irgendeinem anderen Foto. Sie erforderten ein geschultes Auge, um eventuelle Anzeichen für äußere Gewalteinwirkung ausfindig zu machen, was dazu geführt hatte, dass der Gesetzgeber alle Leichen im fortgeschrittenen Verwesungszustand an die Rechtsmedizinische Abteilung weiterleiten ließ.
    Die Temperatur im Obduktionssaal wurde kühl gehalten. Alle arbeiteten in kurzärmeliger Obduktionskleidung, doch Ella war der Raum niemals kalt vorgekommen. Vielleicht lag es an der Plastikschürze und den Handschuhen oder auch lediglich an der körperlichen Arbeit, die sie warmhielt. Selbst in der dunklen Jahreszeit, in der es erst zu dämmern begann, wenn die Obduktionsarbeit bereits auf vollen Touren lief und die großflächigen blickdichten Fensterscheiben im Saal noch kaum Licht hereinließen, war es im Saal hell wie am lichten Tag. An der Decke waren Neonröhren angebracht, die speziell dafür hergestellt
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